Nach meinem Eintrag vom 1.1.2013 über Tuvia Tenenbom. hatte ich Gelegenheit, den Schriftsteller persönlich kennen zu lernen. Aus der "Bloggergemeinde" kam ein Hinweis, dass T.T. in Berlin im jüdischen Gemeindehaus eine Buchvorstellung geben wird. In Berlin angekommen, stellte ich fest, dass am Abend zuvor schon eine Veranstaltung mit T.T. in Berlin stattgefunden hatte und dachte, in einer nichtjüdischen Umgebung wäre es vielleicht spannender und kontroverser zugegangen.
Im großen Saal des jüdischen Gemeindehauses waren nach und nach etwa 80 Personen zusammen gekommen. Auf dem Podium nahmen Platz: Tuvia Tenenbom, dazu zwei junge Leute, die als Lesende und Übersetzer fungierten und der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, der als Conferencier wirkte. Die jungen Leute lasen das Kapitel 7, in dem T.T. verschiedene religiöse Gemeinschaften, einschließlich der jüdischen, besucht. Wie der Chefredakteur erzählte, wäre es eines der wenigen Kapitel, bei dem sich noch keine Anwälte gemeldet hätten.
Anschließend gab es eine Diskussion. T.T. wurde gefragt, wieso er gerade auf das Thema Antisemitismus in D. gekommen wäre. Er beteuerte, dass das überhaupt nicht seine Absicht gewesen wäre, im Gegenteil, als er noch wenig von Deutschland wusste, wäre er derjenige gewesen, der in New York die Deutschen gegen solche Anschuldigungen verteidigt hätte. Nachdem er sich dann aber lange in D. aufgehalten hat und bei allen möglichen Gelegenheiten mit Deutschen sprach, muss er sagen: die Deutschen sind besessen von dem Gedanken an Juden und den Holocaust. Seine Erlebnisse wären zufällig gewesen, nicht mit Absicht herbei geführt, aber es dauerte nie lange, bis von den verschiedensten Menschen etwas in dieser Hinsicht geäußert wurde, meistens Absurdes. So traf er im KZ Buchenwald auf den Direktor der Gedenkstätte, der ein T-Shirt von einer Jerusalemer Bar an hatte, die die Auswanderung der israelischen Juden nach Uganda propagierte. Der Leiter für Gedenkstättenpädagogik war einst bei einem Hilfseinsatz in einem arabischen Krankenhaus nach Nablus geraten um sich über die Situation der Palästinenser zu informieren. Prompt wurde ihm dort eine Bombe unters Auto gelegt, bei deren Explosion sein Bruder starb und er ein Auge verlor. Trotzdem demonstriert er für die Rechte der Palästinenser und betreibt zugleich Gedenkstättenpädagogik über den Holocaust.
Während T.T. ins Plaudern geriet, änderte sich die Stimmung im Saal. Ein Tuscheln und Murmeln war zu hören, das in den Satz mündete: "Was reden Sie hier für Blödsinn?" Ein Ehepaar verließ aufgebracht den Saal, kam aber später zurück. Wie sich herausstellte, war der wütende Herr ein verdientes Mitglied der jüdischen Gemeinde, und als er später wieder da war, konkretisierte er seinen Unmut: T.T. würde die gute Zusammenarbeit, die in Jahren mit den Gedenkstätten aufgebaut wurde, torpedieren. Er kenne nicht viele Orte, wo so viel für die Geschichte getan wird. Und der Herr Tenenbom wäre einfach nur stolz und oberflächlich. T.T. ließ sich nicht beirren und meinte, für ihn wäre Deutschland ein Land mit vielen Masken, und der Gedenkstättenleiter hätte keine Scham. Daraufhin verließ wieder jemand den Saal.
Ein junger Mann stellte die Frage, die auch mich interessierte: Wie konnte T.T. als englisch sprachiger Mensch so viele intensive und sprachlich subtile Gespräche mit Deutschen führen. T.T. antwortete, dass viele Gespräche auf Englisch stattfanden und dass oft auch seine Frau als Dolmetscherin fungiert hätte.
Später trat eine Frau vors Mikrofon, die T.T. dankte und sagte, sie wäre auch der Meinung, dass der Antisemitismus hier verbreitet wäre, aber sie könnten ja nicht in ihre eigene Suppe spucken, doch sie findet es toll, dass T.T. gespuckt hätte. Das gefiel wieder einer anderen Frau nicht, denn es gäbe auch gute Deutsche und der erboste Herr F. würde es gut meinen, weil es ihm um die gute Zusammenarbeit mit den Gedenkstätten gehe. Aus den verschiedenen Ausführungen konnte man sich ein gute Vorstellung über die jüdischen Gemeinden in Deutschland, über ihre Animositäten und Zwänge machen.
Der Abschluss war versöhnlich: Ein junger Mann lobte das Buch sehr und unterstrich besonders die Wärme zu den Menschen, die man trotz aller Schwierigkeiten mit ihnen, spürt und bewunderte T.T., wie er es geschafft hatte, so ein akkurates Bild hinzubekommen.
anne.c - 24. Feb, 22:02
Eine Aufnahme zweier bei einem israelischen Luftangriff getöteter palästinensischer Kinder ist zum besten Pressefoto 2012 gekürt worden. Das Bild des schwedischen Fotografen Paul Hansen zeigt eine große Gruppe trauernder Männer in einer engen Gasse, welche die Kinder in Totengewändern zur Beisetzung tragen.
Dieses Foto löste in mir tatsächlich großes Erschrecken aus. Es ist ein Foto einer Trauergemeinde, aber zugleich ist es ein Propagandafoto und zwar ein sehr unangenehmes, bedrohliches! Und deshalb hat das Bild etwas Verkommenes an sich. Es sagt, es schreit direkt: "Seht Israel den Kindermörder! Seht, die Weisen von Zion, sie morden, wie sie seit 2000 Jahren morden. Schon immer haben die Juden Kinder gemordet." Diese Botschaft wird man in alle Welt senden und sie wird auch so verstanden werden.
Dieses Foto ist nicht einfach nur das Foto zweier im Krieg getöteter Kinder. In Syrien wurden tausende Kinder getötet. In Israel gibt es hunderte Kinder, die bei Selbstmordanschlägen verstümmelt wurden oder ihr Augenlicht verloren. Tote oder verstümmelte Kinder und ein qualitativ hochwertiges Foto bekommt man an vielen Stellen zusammen. In Syrien gäbe es dazu genug Gelegenheiten.
Aus den originalen israelischen Berichten weiß man, dass Israel alles Mögliche tut, damit es im Krieg so wenig zivile Opfer wie möglich gibt. Dass die Hamas aber ihre eigenen Lager und Abschussrampen zwischen Kindereinrichtungen und Krankenhäuser versteckt, damit Israel entweder diese Stellen meidet oder aber wenn es die Lager und Rampen vernichtet, es möglichst zivile Opfer, am liebsten Kinder gibt, die sie dann der Welt als israelische Opfer präsentiert.
Dieses Foto wurde nicht von einigen Palästinensern für ihre Propaganda ausgesucht. Es wurde von einer internationalen Jury aus mehr als 100.000 Fotos gekürt. Es ist unangreifbar. Darum empfinde ich es als erschreckend und bedrohlich. Es zeigt, wie breit die Basis ist, die um jeden Preis, auch um den Foto-Award, zeigen will, dass Israel ein über alle Maße schreckliches Regime ist. Daraus folgt im Selbstlauf, dass immer mehr unbeteiligte Menschen ohne Kenntnis der näheren Umstände sagen: "Ja, wenn so viele davon überzeugt sind, dann muss ja etwas daran sein."
anne.c - 18. Feb, 23:09
An die Redaktion der Tagesthemen, am 11.2.2013:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den gestrigen Tagesthemen berichteten Sie unter "Fanatische Fans" über nationalistisch gesinnte Anhänger eines israelischen Fußballclubs.
Wenn man Ihren Bericht mit diesem (nur als Beispiel aus einer möglichen Reihe) vergleicht, muss man zwangsläufig nach Ihren Beweggründen fragen, dem im Vergleich harmlosen Tatbestand aus Israel (vermutlich in jedem deutschen Stadion findet man vergleichbare Fans) eine prominente Stelle in Ihrer Sendung einzuräumen, während wirklich dramatische Fußballereignisse in Deutschland eher außer Acht gelassen werden.
Meinem Eindruck nach ist es bezogen auf Israel (das Land scheint der alleinige Grund für Ihren Bericht zu sein) eine verzerrte Berichterstattung. Man bedenke dabei, und das macht Ihren Beitrag ausgesprochen zweifelhaft, dass weit vor dem ausgiebig diskutierten Jakob Augstein kaum beachtet auf der Skala des Simon-Wiesenthal-Zentrums die europäischen Fußballfans als Antisemiten eingereiht wurden.
Die angeführten Zusammenhänge wären es wert, journalistisch bedacht zu werden, dazu möchte ich Sie zumindest anregen.
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Es ist vielleicht keine weltbewegende Meldung, aber sie zeigt genau und beispielhaft den Mechanismus nachdem nicht irgendwelche "Hetzblätter", sondern unsere seriösen Medien, in diesem Fall die Tagesthemen, nicht einfach etwas berichten, sondern Politik machen - auf ihre Weise, versteht sich. Ein sichtlich beunruhigter Tom Burow gab bekannt, wie schlimm und rassistisch sich die Fans in Israel verhalten. Es fiel aber auf, dass nicht einmal ein tatsächlicher Übergriff zu berichten war.
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Jetzt ein anderer Bericht, zum gleichen Thema, ich zitiere aus Uris Tagebuch aus Israel:
Heute Abend, am 11.2., spielte Beitar Jerusalem gegen Bnei Sachnin, einen arabischen Nationalligaklub aus dem Galil. Wie verhielten sich die im Teddy Kollek-Stadion anwesenden Zuschauer? Es gab eine Überraschung: Die Beitar Jerusalem Fans verhielten sich vorbildlich. Es waren Transparente zu sehen mit den Worten: „Wir lieben euch alle, wir sind keine Rassisten“. Von den gegen neuntausend Zuschauern seien nur 35 rabiate Beitar-Fans aus dem Stadion geführt worden, wie auch 35 Fans von Sachnin, die die Sicherheit gefährdet hätten. Der Reporter erzählte, es habe einige rassistische Demonstrationen gegeben, die von der Fernsehkamera nicht aufgenommen worden seien. Diese Ausbrüche seien nur von einer winzigen Gruppe verursacht worden. Von all dem war nur eine Szene zu sehen: Als vor Spielbeginn einige Sachnin-Fans von Wächtern der Ordnung aus dem Stadion geführt wurden.
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Auf den Zuschauerbrief gab es wie gewohnt keine Reaktion. Schade.
anne.c - 13. Feb, 17:40
Der 27. Januar ist vorbei, der 30. Januar auch, an dem der Bundestag in diesem Jahr "gedachte". Nun sind die Juden "abgehakt", und Israel ist d´ran. In DR-Kultur wurde ein israelischer Schriftsteller interviewt. Ein "israelkritischer", wie kann es anders sein? Nir Baram, der die Welt nicht in Opfer- und Täterperspektive aufgeteilt sehen will, wie man es wohl gemeinhin tut. In seinem Roman gibt es eine jüdische Kollaborateurin, und "Nazitäter werden nicht mehr dämonisiert" (Das Bild des "verrückten Nazis", sagt der Schriftsteller, sei eine Erfindung der Popkultur). Die gleichberechtigte israelische Gesellschaft, die aus Juden, Palästinensern und Gastarbeitern bestehe, die liege ihm am Herzen. Sein Kernsatz war: Israel ist ein jüdisches Ghetto, das von den eigenen Leuten, d. h. von Netanjahus Leuten, geschaffen wird, und Netanjahu instrumentalisiere dazu den Holocaust. Juden hätten in Israel nicht die Leitkultur vorzugeben. Mauern dürfe es nicht geben und keine Angst. Kurz gesagt Banalitäten, die alles und nichts besagen und bei uns unheimlich beliebt sind.
Mag der junge Schriftsteller es so sehen, und mag das seine Einstellung sein. Unsere Radiosender, die so innig im "Gedenken" sind, werden immer ganz närrisch, wenn ihnen jemand vor´s Mikrofon kommt, der ein ideales Israelbild malt, das nicht Realität wird, was wiederum angeprangert wird. Ich denke manchmal an meine christliche Reisegruppe, mit der ich einmal auf Israelfahrt war. Da wurde oft davon gesprochen, wie wenig gleichberechtigt die Araber in Israel sind. Wenn man dann aber in Akko entdeckte, dass die malerischen Hinterhöfe an der Hafenmole voller Abfall lagen, zückte man sofort die Kamera, um diese Schandflecke zu dokumentieren. Die aufdringlichen Kinder, die uns hinterherliefen um für ein Foto zu posieren, und die, wenn man in die Kamera schaute, ihre Hand zum V-Siegeszeichen erhoben, fand man ausgesprochen lästig.
Wenn doch nur die Menschen, die so genau wissen, wie es in der idealen Welt auszusehen hat, wenigstens in der Lage wären, die Realität zu erkennen!
anne.c - 5. Feb, 21:43
Dieser Tag bescherte mir einige Eindrücke zum Nachdenken über Sinn oder Nichtsinn solch eines Gedenktages. Morgens war im DLF, in der Sendung des evangelischen Rundfunks ein einfühlsames Lebens- und Sterbensbild des Dichters Katzenelson, der in Auschwitz umgebracht wurde, zu hören. Unwillkürlich fielen mir dabei die Interviews des DLF mit "Israelkritikern" oder Palästinensern ein, die so redeten wie ihnen der Schnabel gewachsen war - der DLF kann ja nichts dafür, er lässt nur Andere zu Wort kommen. Ebenso kann ich die Diskrepanz zwischen dem evangelischen Gedenken und den Handlungsweisen innerhalb der evangelischen Kirche (über die ich in diesem Blog schrieb), wenn es um Israel geht, nicht überbrücken. Der toten Juden wird gedacht, die lebenden werden dämonisiert. Jedenfalls das Land, in dem viele von ihnen leben, und wer ist das Land, wenn nicht die Summe seiner einzelnen Bewohner?
Der nächste Eindruck war eine Predigt eben auch zu jenem Gedenktag, die eine Aneinanderreihung von einigen Schlagworten war und unvermittelt in die Einsicht mündete, dass Gott barmherzig sei. Die Logik des Ganzen war nicht zu durchschauen, und so eilten wir zu dritt in eine kleine Stadt, wo sich etwa 50 Personen vor dem großen, etwas baufälligen Mahnmal am Stadtrand versammelt hatten, das an die vielen KZ-Häftlinge erinnerte, die hier, in einem Außenlager von Ravensbrück, den Tod gefunden hatten.
Hier trafen Kirchenmitglieder, Angehörige der Partei "die Linke", Gymnasiasten und ihre Lehrer zu einer bunten Mischung zusammen. Viele Leute kannten sich und begrüßten sich freudig, manche treffen nur an dieser Stelle zusammen. Vorne am Mahnmal begleitete eine Bläsergruppe alles Geschehen mit recht anspruchsvollen Stücken: Klezmermelodien, Chorälen, modernen getragenen Musikstücken. Der Bürgermeister und die Stadtpastorin hielten eine Rede, Schüler rezitierten und erzählten, was sie über Auschwitz erfahren haben. Die Reden waren sprachlich schlicht gestaltet, man merkte, dass die Vortragenden es sich nicht einfach gemacht hatten. Blumen wurden niedergelegt, die Kapelle spielte. Und die winterliche Kulisse an diesem stillen Sonntagmittag, der Ernst und die Ernsthaftigkeit der Menschen ließen ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass sich Tuvia Tenenbom unter die Gruppe gemischt hätte und unter den Teilnehmern mit seinen arglos provokanten Fragen für ein wenig Verunsicherung gesorgt hätte.
anne.c - 28. Jan, 22:47
Vor langer Zeit, also in kommunistischer Zeit, gab es in der Tschechoslowakei zwei Denkmäler, die für mich sinnbildliche Bedeutung hatten. In der kleinen Stadt K. hatten nach 1968 die Altkommunisten eine seit längerer Zeit ausgemusterte Stalinbüste aus den Kellerverliesen hervorgekramt und sie im Stadtpark wieder auf einen Sockel gestellt. Ich war entsetzt als ich sie 1974 das erste mal erblickte: In der DDR hatte es keine Stalinrenaissance gegeben, so war ich diesen Anblick nicht gewöhnt. Bis ans Ende der kommunistischen Herrschaft stand Stalin im Park, oft ging ich an ihm vorbei, immer mit Widerwillen.
Dann gab es noch ein zweites Denkmal, es stand in einem Dorf in den Bergen. Es war ein Denkmal Tomáš Garrigue Masaryks. Es stand auf dem Dorfplatz. Der Sockel war umringt von steinernen Gestalten der ruhmreichen tschechischen Geschichte, und hoch ragte darüber die eindrucksvolle Gestalt des ersten tschechischen Präsidenten empor. In der kommunistischen Zeit galt er fast als nicht existent. Immer war ich von der Sorge erfüllt, ob die Kommunisten doch nicht auf die Idee kommen könnten, dieses Denkmal zu entfernen. Wenn ich es damals auch nicht formulierte, so kann ich meine Empfindungen diesen Denkmälern gegenüber so ausdrücken: „Solange das Masarykdenkmal in S. noch steht, ist noch nicht alles verloren, doch so lange das Stalindenkmal in K. noch steht, ist es mit dem Kommunismus noch nicht vorbei!“
Inzwischen gibt es nur noch ein Denkmal, die Statue Masaryks, die den tschechischen Wahlspruch aus den Hussitenkriegen bestätigt: "Die Wahrheit siegt!"
(Wenn es manchmal leider auch lange dauert).
anne.c - 22. Jan, 09:43
Mir ist aufgefallen, dass es bestimmte Institutionen und Begriffe gibt, die man tabuartig für sakrosankt erklärt. Und geschehe unter deren Deckmantel was es will, man darf nicht daran rühren.
Und die so genannten seriösen Medien sind solche unter „moralischen Schutz“ gestellte Institutionen. Wenn solch eine Institution unmoralisch handelt, darf man sie nicht angreifen, weil ihr Handeln statusgemäß als moralisch gilt.
Mir fällt ein, wie ich an den Rundfunkrat schrieb, in welcher Weise der DLF über Israel berichtet und illustrierte das an dem Beispiel, als in einer Folge der Sendung "Politische Bücher" zuerst ein Buch von Tom Segev vorgestellt wurde, der als Israeli kritisch über die ersten Jahre des Staates schrieb. Er behauptete, dass es im frühen Staat Israel auch Massaker an Arabern gegeben habe. Unmittelbar danach kam ein Buch über Bin Laden, bei dem Originalzitate von Bin Laden über Massaker Israels an Arabern gelesen wurden. In blutrünstigen Reden stellte Bin Laden Israel als bestialisches, mörderisches Gebilde hin, das vernichtet werden muss.
Der DLF benutzte Bin Laden also als Zeugen für Tom Segevs Buch und hielt sich selbst neutral heraus. Ich benutzte in meinem Protest den Ausdruck, dass solch ein Handeln "der Zeitschrift „Der Stürmer“ würdig sei…“, und bekam weder Antwort vom DLF noch vom Verwaltungsrat und auch keine Bestätigung meines Schreibens. Ich nehme an, dass man es ungeheuerlich fand, diesen seriösen Sender und „den Stürmer“ in einem Atemzug zu nennen. Handeln darf der DLF im Sinne des „Stürmers“ schon, aber so bennenen darf man es nicht.
Nach gleichem Muster wird im derzeitigen Antisemitismusstreit um Jacob Augstein verfahren. Egal, wie sehr seine Ausführungen den antisemitischen Klischees entsprechen, nie kann die intelektuelle Gesellschaft es zulassen, dass einer der ihren als Antisemit bezeichnet wird, denn was das ist, das bestimmen immer noch "wir". Antisemiten sind die hässlichen braunen Gestalten am Rande der Gesellschaft, mit denen wir nichts zu tun haben, aber der Nachkomme "unserer" eigenen kulturellen Größe kann es nicht sein.
anne.c - 15. Jan, 11:39
So lautete kürzlich der Titel einer Unterhaltungssendung im Fernsehen. Ob die Vertreter der Tagesschau sich als schlauer, klüger oder gebildeter als das andere Rateteam erwiesen haben, kann ich nicht sagen. Die Bezeichnung "schlau" trifft auf die Tagesschau allemal zu, wie sie es in den Abendnachrichten am 4. Januar bewiesen hat.
In den 20-Uhr Nachrichten konnten die Zuschauer an einer Feier im Gazastreifen Anteil nehmen. Trotz der bisherigen Feindschaft zwischen Fatah und Hamas durfte die Fatah-Partei hier ihren 48. Gründungstag begehen. Unzählige gelbe Fahnen wehten über einem großen Platz, und Parteiführer Mahmūd Abbas hielt per Großleinwand eine Rede aus dem Westjordanland und kündigte die baldige Versöhnung zwischen Hamas und Fatah an. In dem das Bildmaterial begleitenden Kommentar wurde den Zuschauern gerade erklärt, dass dies eine Kundgebung der "als gemäßigt geltenden Fatah-Organisation" und als Ausdruck für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Fatah und Hamas anzusehen wäre.
Das Timing war perfekt: Unmittelbar nachdem "als gemäßigt geltende Partei" ausgesprochen war, erschien im Bild ein kleiner Junge, sitzend auf der Schulter eines Mannes. Bekleidet in eine Uniform trug er eine Sonnenbrille und eine große Raketenattrappe. Ein Mann war gerade dabei, dem Jungen noch eine Palästinenserstirnbinde anzulegen. Die Rakete wurde fröhlich in der Luft geschwenkt, so als wolle er den Sprecher der Tagesschau bestätigen: "Ja seht, wir sind gemäßigt!"
Aber die Tagesschau erwies sich eben als schlau. Gut zwei Stunden später, in den Tagesthemen, wollte wir uns bei der Feier der "Gemäßigten" noch einmal an dem fröhlichen Jungen erfreuen. Aber er war nicht mehr da, sondern er war verschwunden, als wäre er nie da gewesen. Das Video der Feier wurde abrupt vor dem Erscheinen des Jungen geschnitten, obwohl es sonst genau derselbe Film war wie in der Tagesschau.
Muss eine Tagesschau schlau sein? Sollte sie nicht stattdessen authentisch und der Wirklichkeit gemäß ihre Nachrichten darbringen? Wenn die Szene mit dem Jungen auf irgendeine Weise kommentiert worden wäre, z. B. dahingehend, was in Gaza unter gemäßigt zu verstehen sei, anstatt dass man sie einfach unterschlagen hätte, da fühlte sich der Zuschauer nach der Sendung sicher besser informiert, ganz besonders darüber, was in Gaza als gemäßigt anzusehen ist.
anne.c - 6. Jan, 09:34