Vor kurzem besichtigte ich zum ersten Mal im Leben eine KZ-Gedenkstätte. So oft bin ich die Straße 96 von und nach Berlin gefahren: in der Jugend unzählige Male getrampt, in letzter Zeit immer mal mit dem Auto. Die Hinweise auf die Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg und Ravensbrück bei Fürstenberg gab es schon immer. Allerdings, wenn man unterwegs ist, unterbricht man die Reise nicht gern, und so hatte ich nie die Gelegenheit wahrgenommen, mich dort umzuschauen.
Nun hatte ich auf einer Fahrt genügend Zeit, und so fuhr ich zur KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, die am Rand von Fürstenberg zwischen See und Wald gezwängt, fast malerisch da lag. Es war ein normaler Dienstag Nachmittag. Kein Gedenktag weit und breit. So befand ich mich ganz allein auf dem großen Lagerplatz. Die Insassen des einen Reisebusses, der auf dem Parkplatz stand, waren wohl irgendwo in den Ausstellungsräumen.
Der Lagerplatz war vollkommen leer, einige Baracken säumten den Rand. Auf dem leeren Platz gab es Tafeln, die auf die früheren Gebäude und Gegebenheiten hinwiesen. Einige Informationsstelen und Skulpturengruppen in der Nähe des Eingangs belebten die recht eindrucksvolle Öde. In einem Nebengebäude lag das große „Buch der Toten“ aus, in dem – gut gestaltet – die Namen aller in Erfahrung gebrachten Ermordeten alphabetisch aufgezeichnet waren. Ich suchte den Namen Milena Jesenská - tatsächlich, er stand genau an der richtigen Stelle. Um mich in den Ausstellungs- und Informationsräumen im Hauptgebäude umzusehen, fehlte mir dann doch die Zeit, aber ich studierte einige Stelen und eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Lagers. An der Gestaltung der schriftlichen Zeugnisse und Darstellungen war zu erkennen, dass man sich große Mühe gegeben hat, die Geschehnisse rund um das Lager historisch genau zu erfassen und in einen Kontext zu bringen. Ganze Kommissionen von Historikern zeichneten sich verantwortlich. Man hatte den Eindruck, dass um jede Formulierung gerungen worden war. Ich dachte: Fast alles weiß man, es ist erforscht und ausgewertet worden. Jeder kann erfahren und wissen was er will und sich seine Meinung bilden. Also muss es nicht Unwissenheit, sondern gesellschaftlicher Wille sein, dass man täglich Entgleisungen erlebt oder zu hören bekommt. Hier gab es keinen Hinweis von Bischof Mixa, dass es in Israel ähnliche Lager gibt. Hier hat kein Kirchenzeitungsredakteur Hoeffchen seinen Beitrag dazu gegeben, dass er sich dafür schämt, nicht übersehen zu können, dass die Nachkommen jener Ermordeten schlimme Taten begehen.
Fast mehr berührt als das Lager der Häftlinge hat mich ein anderes "Lager". Wahrscheinlich weil es in meinen Vorstellungen von einem KZ nicht vorhanden war. Das war die pompöse Siedlung der SS-Mannschaften. Fast ebenso groß lag sie direkt am See auf einer leichten Anhöhe behäbig über dem Häftlingslager. Der Kontrast der beiden sich gegenüber liegenden Lager sagte viel aus, und er führt mir vor Augen, wie beim heutigen Gedenken die Häftlinge zwar als Projektionsfläche für alles mögliche genutzt werden, die Täter aber als schemenhafte und namenlose, fast nicht vorhandene Gestalten in den Schatten gerückt werden. Hier war der Zusammenhang nicht zu übersehen.
Am Ausgang erblickte ich, noch auf dem Lagergelände, in eine Ecke der Umzäunung platziert, eine etwas abgeschabte leere moderne Halle, wie eine Kaufhalle sah sie aus. Das also muss der Supermarkt gewesen sein, der in den 90-ger Jahren für Schlagzeilen sorgte, und dessen Eröffnung dann wohl doch die Demonstrationen der ehemaligen Häftlinge verhindert haben. Für den die Einwohner sich vehement eingesetzt hatten, weil genau an seiner Existenz der Aufschwung von Fürstenberg hängen würde. Die die Meinung verkündet hatten, „nur wegen dem KZ“ würde nun der Fortschritt an ihrem Städtchen vorbei gehen müssen. An dieser abgelegenen Stelle der Stadt, die rundherum viele große Flächen und Supermärkte sowieso genug hat. Ich glaube, das war für mich der stärkste Eindruck: Häftlings- und Bewachergelände bildeten irgendwie eine Einheit, aber der Anblick der leeren Kaufhalle in der Zaunecke, der hatte etwas Absurdes. Kein Wunder, dass hier Kafkas Freundin umkam.
anne.c - 30. Sep, 13:40
Der Neujahrsgruß, den ich vor vier Jahren von unbekannten Leuten erhielt, war zwar ungewöhnlich, aber mich setzt in dieser Hinsicht nichts in Erstaunen – eben ein Déjà-vu. Solch seltsame Dinge erlebt man ständig, wenn man wach ist, sie wahrzunehmen. Etwas deprimiert es mich, etwas versetzt es mich ins Nachdenken, leider macht es mich am meisten müde.
Zuerst dachte ich lange nach, von wem der Gruß gesendet worden sein mag. Eine leise Ahnung sagte mir, dass es Leute seien, mit denen ich auf einer Exkursion in eine lebhafte Unterhaltung geraten war, und die wohl meine Adresse in ihren Adressenverteiler aufgenommen haben. So wurde ich Empfängerin, des eigens, weniger mit gestalterischer, dafür aber mit geistiger Sorgfalt und innerem Engagement, verfassten und vervielfältigten Neujahrsgrußes.
Als „besinnlicher Aufmacher“ sprang einem gleich der von einem New Yorker Einwohner am 11. September 2001 geschriebene Aufruf ins Auge: „Was ich mir wünsche für Amerika“, der zum Inhalt hatte, dass Amerika nun, nach diesem Terror, für die Seelen der Terroristen beten solle, allen Moslems Sicherheit gewähren und nicht die üblichen amerikanischen Racheakte, wie z.B. in Hiroshima vollführen solle. Als persönliche Grußworte folgten einige Sätze, in der verdrehten Art, die ein höheres geistiges Niveau kennzeichnen soll: Man wünschte zum neuen Jahr nicht etwa: „Frieden, Harmonie und Freude“, sondern „wache Sinne für Frieden, Harmonie und Freude“.
Was soll man dazu sagen? Warum schreiben wildfremde deutsche Menschen anderen wildfremden deutschen Menschen, was ein Einwohner von NY am Tag des Terrors, aus welchen Gründen auch immer, aufschrieb, als Neujahrsgruß? Ich verstehe es nicht, aber ich verstehe es, weil ich die Quellen kenne, aus denen sich derlei geistige Spitzfindigkeiten speisen, und ich habe keine Lust, mich damit auseinander zu setzen. Aber ich sage mir auch immer: Das ist das Denken der Leute, die hier aktiv das gesellschaftliche Leben gestalten und bestimmen! Ich konnte mich erinnern: Das waren angenehme, vielseitig interessierte und freundliche Menschen.
anne.c - 17. Sep, 11:28
Im Fernsehen wurde einige Zeit nach den Anschlägen berichtet, wie sich die deutsche Regierung um die Hinterbliebenen deutscher Bürger kümmert, die Opfer schwerster Gewalttaten wurden. Es handelte sich um die 13 deutschen Opfer, die bei den Attentaten des 11. Septembers ums Leben kamen und um diejenigen, die bei dem Anschlag auf die marokkanische Synagoge verbrannten. In beiden Fällen kümmerte sich die Regierung überhaupt nicht um die Hinterbliebenen, und erst auf Initiative der Angehörigen und durch Berichte in den Medien, regte sich sehr unwillig etwas bei den Behörden. Die Mutter eines im World Trade Center umgekommenen Mannes berichtete, dass erst nach Aufforderung ein Mitarbeiter des Außenministeriums kam und den Hinterbliebenen eine Strafpredigt hielt, was sie denn wollten: die Beamten des Ministeriums hätten so viel zu tun und könnten nicht immer gleich zur Stelle sein.
Ich war irritiert, denn normalerweise wird sich um Deutsche, die irgendwo in der Welt zu Schaden kommen, sehr gekümmert. Wenn Menschen entführt werden, beneidet man die deutschen Entführten, weil man weiß, dass sich für sie mit Nachdruck eingesetzt wird, wie es z.B. bei der Familie Wallert der Fall war. Mir kam der Fall in den Sinn, als in Amerika zwei deutschstämmige amerikanische Brüder als Mörder hingerichtet werden sollten. Da gab es eine ungeheure Aufregung, dass Deutschstämmige Opfer der amerikanischen Justiz werden mussten.
Ich kann mir die Ignoranz von Seiten der Regierung nur so erklären: Egal, dass die Opfer Deutsche sind, sie haben sich auf etwas eingelassen, was sich nicht gehört, und so haben sie sich was ihnen geschah, selbst zuzuschreiben: Wer in eine Synagoge geht, hat selbst schuld, wenn er darin umkommt, und wer sich mit den Amerikanern einlässt und in den Gebäuden arbeitet, die Symbol für amerikanische Macht und Wirtschaftskraft sind, der hat es nicht besser verdient.
anne.c - 14. Sep, 21:02
Vor dem 11.9. 2011 wurde wochenlang Anlauf genommen auf dieses Weltgroßereignis. Die Welt liebt die Nachbereitungen mehr, als die Ereignisse selbst, weil sie sie selbst inszenieren kann, weil sie sich medial genügend darauf vorbereiten kann und schon die richtigen Bücher und Sendungen, z.B. mit Verschwörungstheorien parat hat. Ich sagte: Wir werden viel Unsinn hören, aber am 12.11. wird abrupt Schluss sein. Darüber wundere ich mich immer: welche gewaltigen Anläufe zu den medialen Großereignissen genommen werden, und wie klanglos sie dann vorbei sind, lediglich ein paar Presseschaustimmen bilden den kläglichen Abschluss. Aus den Diskussionen, Talksendungen könnte sich ja mal ein neuer Gedanke ergeben haben, etwas, was weiter diskutiert werden könnte. Aber nein, unmittelbar darauf beginnt die mediale Vorbereitung des nächsten Großereignisses.
Ich versuche mich, den medialen Großereignissen zu entziehen, weil ich zu viel Unsinn schlecht ertrage, aber es flattert immer noch genug am Ohr vorbei. So z.B. immer wieder der Satz, wie sehr sich die Welt seitdem verändert hätte. Damals, vor 10 Jahren, wurde im Zuge der Nachbereitungen des Terroraktes immer wieder ein Satz genannt, den Herr Scholl-Latour (ich nenne ihn „Prophet des Düsteren“) ausgesprochen hatte: „Das ist das Ende der Spaß-Gesellschaft!“ Seltsamerweise habe ich diesmal diesen Satz nicht vernommen. Ich muss gestehen, dass ich damals dieser Prophezeiung auch ein wenig geglaubt hatte.
Wenn ich jetzt durch die Fernsehprogramme zappe, wenn ich mich umsehe, wie es z. B. in einer Tourismusregion zugeht, wenn ich erlebe, wie Feste und Großevents gefeiert werden: spaßiger kann es kaum sein, als 10 Jahre, nachdem sich die Welt so unglaublich verändert hat. Wenn ich sehe, mit welcher Selbstverständlichkeit rund um die Welt gereist wird, wie junge Menschen, die noch nie eigenes Geld verdient haben, in entferntesten Ländern Praktika machen, sich Autos ausleihen und quer durch Kontinente fahren (ich sehe darin nichts Verwerfliches – sie nutzen die Möglichkeiten, die sich ihnen bieten). Was für Möglichkeiten und welche Freiheiten jeder hat – es liegt an ihm sie zu nutzen: in meinem, vielleicht nicht großen, aber für die Gesellschaft repräsentablen Bekanntenkreis ist es so. Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache, als ich sie in den Medien höre.
Die große Empörung über diese und jene Sicherheitsvorkehrung: Wenn ich mir vorstelle, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flugzeug wegen einer Bombe in der Luft explodiert,
etwa 1: 100 wäre, ich weiß nicht, ob die Leute dann noch so unbefangen rund um die Erde fliegen würden. Ich bemerke nicht, wenn ich in einer Großstadt bin, dass die Menschen angespannt um sich blicken, ob eine Gefahr lauert. Wenn ich sehe, welche Massen von Menschen sich zu Großereignissen begeben, und das größte Unglück, in den letzten 10 Jahren hier, geschah aufgrund von mangelnden Sicherheitsvorkehrungen! So unsicher scheint das Lebensgefühl nicht zu sein.
Wenn ich einige Bilder der 10-Jahresfeier (so wurde der Tag tatsächlich hier und da genannt) sah, fiel mir auf, dass nicht nur die Spuren des Anschlags - außer den „Gedenkspuren - verschwunden sind, sondern dass der neue „Turm“ bereits gewaltig in die Höhe gewachsen ist (egal ob es einem gefällt oder nicht). Und wie die Menschen nach New York eilen, weil das so eine tolle Stadt ist. Wenngleich ich auch Menschen kenne, die nach New York eilen, um hinterher gewaltig darüber zu schimpfen – nach Pakistan fahren sie trotzdem nicht!
Und hat sich die Welt so sehr verändert, wenn der „Prophet des Düsteren“ auch nach 10 Jahren noch in den Fernsehstudios sitzt und Düsteres prophezeit?
anne.c - 12. Sep, 12:28
Diese Talksendungen anlässlich des 11.9. Da immer die gleichen Experten eingeladen werden, kommt immer das Gleiche heraus. Insbesondere Muslime, dazu ihre verständnisvollen Gesprächspartner erklären: Muslime stehen unter Generalverdacht, niemand bemerke den Großteil der friedliebenden Muslime. Meistens noch: die westliche Welt erzeugt selbst so viel Schlimmes, also können sich Muslime, die Böses im Schilde führen, mit Recht auf die Schlechtigkeit der westlichen Welt berufen.
Warum wird nicht gesagt: Vergleicht das Leben in einem westlichen Land mit dem Leben in einem Land, in dem der Islam herrscht! Vergleicht, wie Minderheiten im Westen behandelt werden damit, wie Minderheiten in einem islamischen Land leben. Vergleicht wie Frauen hier und dort leben. Vergleicht, wie „schlimme Dinge“, die es naturgemäß überall gibt, wenn sie aufgedeckt werden, in der westlichen Welt in Presse und Öffentlichkeit behandelt werden, damit wie es in islamischen Ländern zugeht. Vergleicht, in welchem Maße Medien von westlichen Ländern und Medien islamischer Länder zum Hass aufrufen.
In welcher Weise Argumentationen erfolgen, erlebte ich in einer Talk-runde: Dass amerikanische fundamentalistische Christen in Internetseiten aufrufen, man solle Studenten aus muslimischen Ländern aus den USA vertreiben, wird als Beweis angeführt, dass von Amerika ebenso „Schlimmes“ kommt, wie aus islamischen Staaten. Nun kann man in Internetseiten sowieso schreiben, was man will und fälschen wie man will. Und man kann in USA keinem Fundamentalisten seine Meinung verbieten. Trotzdem könnte man den Vergleich ziehen, wozu islamische Fundamentalisten auf ihren Seiten aufrufen. Solche Vergleiche, die auf der Hand liegen, werden in den Talkshows entweder nicht gebracht oder abgewürgt. Das muss einen Grund haben. Ich kann das mit „dem dritten Weg“ bezeichnen, auf den man sich ja zu allen möglichen Gelegenheiten gern beruft: Wenn es wirklich so sein sollte, dass es den „Kampf zwischen Gut und Böse“ gibt, dann stellen wir uns als die neutralen Zuschauer dazu und geben die moralische Beurteilung.
anne.c - 11. Sep, 23:46
Es ist gut zu erkennen. was Leute meinen, wenn sie etwas sagen, was vorgeblich etwas anderes bedeutet, was aber in Wirklichkeit genau das bedeutet, was sie mit ihrem Reden ausdrücken.
So mit der Kritik an Israel, die vorgeblich kein Antisemitismus bedeuten soll, aber genau das ist. Man muss sich die „Israelkritiker“ nur weiterhin anhören. Später oder meistens früher können sie sich nicht mehr verbergen. Ich verstehe nicht, warum sie ihren Antisemitismus nicht zugeben wollen, denn sie sind doch so gegen die Juden, dass sie Antisemitismus als etwas ganz Tolles ansehen sollten. Dieser Widerspruch hängt damit zusammen, dass in dieser Hinsicht alles widersprüchlich ist, irrational.
Ein normaler Mensch sagt: alles hat seine guten und schlechten Seiten. Die Geschehnisse haben Ursachen und Auswirkungen, die wieder anderes bedingen. Man sollte so umfassend wie möglich informiert sein, um sich ein möglichst zusammenhängendes Bild machen zu können. In Deutschland, wo die „großen Denker“ zwar wie eine Reliquie vor sich hingehalten werden, wo man ständig hört, dass man „nicht in Schubladen einordnen soll“ und nicht dem „Schwarz-Weiß-Denken verhaftet sein darf“, da sucht sich die Öffentlichkeit jemanden, dem sie seine ausschließliche Sympathie oder seine Verachtung darbringen möchte.
Wenn man sich also die Lage in Palästina ansieht, wo Mörder mordend durch die Gegend laufen, und Israel nicht mal zugestanden wird, sich durch einen Zaun gegen sie zu schützen, wenn man erfährt, dass palästinensische Kinder in der Schule zum Hass gegen Israel erzogen werden. Wenn man die dummen und plumpen Reden der Palästinenserführer hört und die martialischen Prozessionen mit vermummten Gestalten und ballernden Gewehren, dann ist es doch seltsam, dass die große Sympathie den Palästinensern gilt, die Verachtung Israel. Ich kann mir nur einen Grund denken, warum sowohl in den Medien als auch im Bewusstsein vieler Menschen die große Aufmerksamkeit dem Israel/Palästinakonflikt gilt: Man möchte beweisen, dass die Juden es verdient haben, dass man sie umgebracht hat. Dass Juden so schlimme Menschen sind, dass es einfach nicht anders geht, als dass man sie weiterhin umbringt. Das wollen sowohl fromme Menschen in kirchlichen Veranstaltungen beweisen, als auch linke Weltverbesserer oder die „richtigen“ Nazis. Sie treffen darum auch immer wieder zusammen und sind friedlich vereint, wenn sie auch behaupten, miteinander nichts zu tun haben zu wollen.
Es fällt auf, dass die Gruppierungen, die Israel oder die Juden besonders ablehnen, zu denen gehören, die sich als idealistisch bezeichnen: die Nazis mit ihrer Rassenkunde und dem Ausmerzen allen „unwerten Lebens“, die Linken, die das Paradies aus Erden schaffen wollen, die Kirchen, die Altruismus predigen. Es sind bei allen Unterschiedlichkeiten Gruppen, die die idealistischen Ansprüche an eine nach ihrem Bild geformte Welt in erster Linie an andere stellen, die für sich selbst aber andere Maßstäbe anlegen. Sie wollen davon ablenken, dass sie und die Welt nicht so sind wie sie es für ideal erklären und brauchen einen Feind, auf den sie zeigen können und den sie für alles beschuldigen können, was nicht in ihr Weltbild passt. Die Konsequenz dessen, was diese Gruppen fordern ist, dass Israel und die darin lebenden Menschen vernichtet werden, möglichst nicht von einem selbst, sondern von anderen
anne.c - 7. Sep, 12:10
Einige Vorstellungen hatte ich so verinnerlicht, dass es Jahrzehnte dauerte, bis ich mich von ihnen lösen konnte. Diese Vorstellungen resultierten aus dem Zuhören von Gesprächen, aus dem Lesen und aus den eigenen Gedanken, die ich mir dazu machte.
Eine Vorstellung, die für mich Tatsache war, an der ich nie gerüttelt hätte war, dass die Deutschen nach dem Krieg unheimlich bereut hätten, was sie in der Welt angerichtet haben, ganz besonders, dass sie die Juden umgebracht haben. Dass sie eine große Schuld empfinden und „wieder gut machen“ wollen. Dieses Schuldbewusstsein und Reue unterstellte ich noch in verstärktem Maße allen Angehörigen der christlichen Kirchen. Das kam daher, dass ich in einem christlichen Elternhaus aufwuchs, wo tatsächlich mit Reue und Entsetzen darüber gesprochen wurde.
Mehr jedoch noch wurde ich in dieser Meinung bestärkt weil aus der christlichen Literatur so reuevolle Andeutungen herauszulesen waren, die ich für ehrlich hielt. Dank der Tatsache, dass ich in der DDR aufgewachsen bin, also jede Begegnung mit Juden oder Beschäftigung mit der Vergangenheit sehr eingeschränkt war und oft nur über den Umweg über den Westen möglich war, hatte ich kaum Gelegenheit zu einer direkten Auseinandersetzung.
Ein wenig die Augen geöffnet wurden mir in den 80-ger Jahren, als in unserem Kirchenblättchen eine Leserdiskussion angeregt wurde, die ich anfangs für eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hielt, deren Zuschriften und dazu die „neutrale“ Haltung des Kirchenblättchens mir die Reuegefühle deutscher Christen in einem anderen Licht erscheinen ließen. Die Basis der Diskussion war eine Geschichte aus der Literatur (ich weiß nicht von wem), die zum Inhalt hatte, dass ein verwundeter SS-Mann im Sterben lag (ob während oder nach dem Krieg weiß ich nicht, es muss ja wohl in Gefangenschaft gewesen sein) und reuevoll dem ersten besten Juden, der auf seinen Wunsch irgendwie herbeigeschafft wurde, seine Untaten bekannte und ihn um Absolution im Namen der Juden anflehte. Dieser Mensch stand dann nur betreten da und gab die Absolution nicht. Das Kirchenblättchen hatte tatsächlich eine rege Diskussion angestoßen, die das Kirchenvolk insgesamt zu der Aussage animierte, dass die Juden ein Volk sind, das nicht verzeihen kann und will. Es gab zwar auch einige andere Stimmen, aber das war der Grundtenor, und die Zeitung machte keinerlei Anstrengung, diesen ein wenig zurechtzurücken.
anne.c - 4. Sep, 09:20
Vor Kurzem ging ich zu Fuß am Strand nach Hause. Es war wunderbar. Die Farben, die Geräusche, die Luft, der Rhythmus. Ich versuchte immer eine Weile, mich bewusst auf einen Sinn zu konzentrieren. Mal auf die Geräusche, mal auf das was ich sah oder fühlte. Nennt man so etwas Meditieren? Es wird viel von Meditieren geredet, aber was das so richtig ist, kommt meistens nicht zum Ausdruck. Schließlich geriet ich ins geistige Meditieren und dachte über die morgendliche christliche Ansprache im Radio von Fulbert Steffensky nach.
F.S. hatte sich zum Thema „Schmuddelkinder“, also gewalttätige Jugendliche gemacht, die er nicht verurteilen wolle. Er versuchte, Verständnis für sie zu wecken, klarzumachen, dass sie Menschen mit Sehnsüchten wären. Er sagte, dass gewalttätige Menschen auch Menschen mit einem Namen sind, die Träume haben, die wahrgenommen werden wollen, die Anerkennung suchen. Die sich selbst spüren möchten. Die Menschen, die die Taten der Schmuddelkinder am eigenen Leib spüren müssen, waren ihm keiner Erwähnung wert, sie waren reine Objekte.
F.S. erweist sich als Ideologe. Mich schaudert es. Diese Geisteshaltung ist der Stoff aus dem Diktaturen hervor gegangen sind. Er hat sich ja nicht für ein bestimmtes Schmuddelkind, das aus diesem oder jenen Grund diese oder jene Gewalttat begangen hat, eingesetzt. Das zu seinem Opfer in eine bestimmte Beziehung getreten ist, sich mit seinem Opfer und das Opfer mit ihm auseinander setzen muss. So wie der Brian Keenan in dem Buch, das ich jetzt lese, der sich interessiert mit seinen islamischen Gefangenenwärtern auseinander setzt. Bei dem ein nachdenkendes und reagierendes Urteilen stattfand, und wo ebenfalls die sich verändernden Reaktionen der sadistischen Wärter beschrieben wurden. Im Leben ist es so, dass es eine Verflechtung, eine Verschlingung der einzelnen handelnden Menschen gibt. Aber hier war es so, dass F.S. im luftleeren Raum seine Größe beweisen will, indem er gemeinsame Sache mit Verbrechern macht. Sich auf ihre Seite stellt. Er selbst hat ihnen ja auch keine Namen gegeben, sondern führte sie unter der Sammelbezeichnung Schmuddelkinder an. Also stellt er sich nicht als Mensch an die Seite eines Menschen, sondern er stellt sich allgemein auf die Seite von Gewalttätern. Für die Lösung des Problems, wie man mit dieser Gewalt umgeht, fand er die Patentlösung von Linken: Wir brauchen eine andere Gesellschaft.
Er erweist sich nicht nur als Pfarrer, da löst immer Gott das Problem, sondern als ein linker Pfarrer, wo die Gesellschaft – was immer die sein mag, er scheint es jedenfalls nicht zu sein – das Problem ist und geändert werden muss. Verrückt!
Solche wie F.S. finde ich schlimm. Die gelten als Koryphäen, sehen sich selbst auch als solche und betreiben Gehirnwäsche. „Ich habe Fulbert Steffensky gehört, es war hoch interessant!“ Etwas bleibt immer hängen. Wenn man näher hinschaut, ist F.S. nicht aus sich selbst entstanden, sondern er verinnerlicht eine gesellschaftliche Haltung. Hier liegt sie auf der Hand. Auch die Nazis - sie wurden im Hintergrund auch mal erwähnt -, waren schlimme Menschen. Sie waren Gewalttäter, also Menschen mit einem Namen, mit einer Identität, die sich spüren wollten, die Träume hatten. Was für Träume sie hatten und auf welche Weise sie sich spürten, darüber kann man in Geschichtsbüchern nachlesen. Es ist ganz einfach: F.S. sieht nur die Gewalttäter als Menschen für die man Verständnis haben muss an, die anderen sind Objekte. Wer Mensch ist, bestimmen wir: darauf läuft alles hinaus.
anne.c - 31. Aug, 12:23