Montag, 4. Januar 2021

Vorschulerziehung in der DDR (Teil 3)

So kam der große Tag. Mit einem kleinen Kinderfahrrad legten wir die ca. 700 m zum Kindergarten, einer lang gezogenen Zweckbaracke, zurück. Man gelangte durch die Eingangstür in einen kahlen Vorraum, der einzig dazu da war, Kindergartenhaus und die hereintretenden Kinder zu separieren. Die eigentliche Eingangstür hatte einen Knauf, der von außen nicht zu öffnen war. Man klingelte, und nach Öffnen der Eingangstür gelangten die Kinder in die normalen Räume: einen Korridor mit Garderoben, Gruppenräume, Waschräume usw. Wir standen also in jenem kahlen Vorraum, - der kleine Bruder hatte uns auch begleitet -, und ich klingelte. Die Tür öffnete sich, die Kindergartenleiterin kam, um das neu hinzu gekommene Kind zu empfangen. Und das ging so vor sich: Sie fasste das Mädchen am Arm, zog es hinter die Tür, und schon war die Tür wieder geschlossen. Ich hörte nur noch einen gellenden Schrei, und diesen Schrei höre ich bis heute.
(Gerechterweise möchte ich hinzufügen, dass dem Kind hinter der Tür nichts Böses geschah, es war nur die „normale“ Art, das Kind ins Geschehen einzugliedern)

zum_kindergarten

Wäre ich erfahrener und selbstbewusster gewesen, hätte ich ein „Theater“ veranstaltet, wie ich es später bei anderen Gelegenheiten manchmal praktizierte. So aber ging ich etwas verstört mit dem jüngeren Kind zusammen nach Hause. Erfahren hatte ich aber, dass die Kindergartengruppe vorhatte, den Vormittag am Strand zu verbringen. Ich schlich mich später hinter die Düne und beobachtete die Gruppe. Lärmende, spielende Kinder, und abseits saß ein kleines Mädchen und schaute traurig vor sich hin. Auf die Idee, ein neu hinzu gekommenes Kind etwa mit ins Geschehen zu holen, wäre wohl niemand gekommen (in ähnlichem Bezug hörte ich mehrmals die Aussage: „man merkt gleich, dass es kein Krippenkind ist“, womit gemeint war, dass ein Kind sich nicht automatisch in eine Gruppe einfügen konnte).

Aber - siehe da -, auf einmal kam Bewegung in mein kleines Mädchen. Sie schnappte sich einen Korb und begann Eimerchen und Schaufeln einzusammeln und in den Korb zu legen. Die Kindergärtnerin hatte die Kinder zum Einsammeln der Spielzeuge aufgefordert, was außer der „Neuen“ niemand zur Kenntnis nahm. Sie war einfach ein liebes und artiges Kind, das sofort reagierte, wenn etwas angesagt war. Ja, viel später wurde ihr sogar das höchste Lob zuteil, dass in einem Kindergarten jener Art zu vergeben war: „Sie ist so lieb, man merkt gar nicht ob sie da ist oder nicht da ist“.

Meine Tochter ist später gern in den Kindergarten gegangen, hatte da Freunde und Freundinnen, und vielleicht war der Beginn der Kindergartenzeit für mich traumatischer als für sie. Und – wer weiß -, traumatische Erlebnisse können ja auch dazu führen, dass man Widerstandskräfte entwickelt, die einem später helfen.
(Fortsetzung folgt)

Im Luftreich des Traums

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