Mittwoch, 14. Oktober 2020

Verschwörungstheoretiker: „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“

In einem Kurort in unserer Gegend wird jährlich eine Buchmesse veranstaltet, bei der regionale Verlage ihre Neuerscheinungen und in der Region ansässige Schriftsteller ihre Werke vorstellen. Es war im Jahr 2011, als ich mir das Programm ansah. Ein junger Schriftsteller, Sohn eines in der DDR populären Verfassers von Politthrillern, hatte die Ereignisse rund um den 11.9.2001 recherchiert und gab sie hier der Öffentlichkeit unter dem Titel "Inside 9/11" bekannt. Ein junger Mann von hier, Sohn unserer Landschaft, in diesem Metier! Die Lesung wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich fuhr früh los, damit ich rechtzeitig einen Sitzplatz bei der Lesung bekomme. Ich hatte dann aber Schwierigkeiten mit dem Parkplatz und traf erst minutengenau in der Messehalle ein. Es war das verlängerte erste Oktoberwochenende. Im Ort wimmelte es von Menschen. Ein Künstlerort. Dementsprechend wirkte das Publikum. Künstler, Kunstinteressierte oder Menschen, die sich gern im künstlerischen Flair bewegen.

Die Messehalle hatte einen kleinen abgetrennten Raum für Lesungen. Ich fragte am Einlass, ob die Veranstaltung hier stattfindet und ob man Eintritt zahlen müsste. Die Dame dort sagte etwas verlegen: „Eigentlich ja….., aber setzen sie sich doch einfach da hin“. In einer Stuhlreihe saßen drei Personen, die unschwer als Angehörige des jungen Schriftstellers zu identifizieren waren. Und nun noch ich. Der Schriftsteller Paul S. kam. Er überlegte, ob er überhaupt anfangen solle. Dann trafen aber noch zwei Ehepaare ein, und so fand die Lesung statt.

Paul S. betonte, dass er keinesfalls eine Verschwörungstheorie zum 11.9. hätte. Er hätte nur Fakten zusammengetragen, und die Schlüsse daraus solle jeder für sich selbst ziehen. Man muss es Paul S. zugestehen, dass er recht gute rhetorische Fähigkeiten hatte. Die Lesung, die hauptsächlich die Lebensläufe von Donald Rumsfeld und Dick Cheney umfasste, und ihr Zusammenwachsen zu einer Art Connection in engster Verbindung mit der amerikanischen Öl- und Rüstungsindustrie war außerordentlich langweilig, und trotzdem las er so gut, dass man nicht einschlief und sogar ein wenig mitdenken konnte. Es gab deutliche Hinweise, dass seit Jahren darauf hingearbeitet wurde, in den USA eine Situation zu schaffen, die es ermöglichte, die Verfassung außer Kraft zu setzen. Ebenso war eine deutliche Linie zu erkennen, Vorwand für einen Krieg zu schaffen, damit die entsprechenden Industrien zum Zuge kommen können. Dass in solch einer Situation billigend der Tod vieler eigener Leute in Kauf genommen würde, hätte Tradition, denn so wäre es damals 1941 in Pearl Harbour auch gewesen, als der amerikanische Präsident schon im Vorherein vom Angriff der Japaner gewusst hätte, aber den Überfall als guten Anlass ansah, seinem „kriegsmüden“ Volk ein wenig auf die Sprünge zu helfen, was wiederum der Rüstungsindustrie auf die Sprünge half. Ob sowohl Pearl Harbour als auch 9/11 von den Amerikanern selbst erdacht und ausgeführt worden war, blieb unklar, denn das Motto der Schriftstellerlesung war: „Man kann es so sehen, man kann es aber auch so sehen, und seine Meinung muss sich jeder selbst bilden.“

Diese zweideutige Aufforderung wurde in der anschließenden Diskussion gern aufgenommen. Diskussion ist übertrieben, denn lediglich ein Mann aus der kleinen Besucherschar stellte sich als redseliger Experte heraus. Es war ein älterer korpulenter Herr, der sich schwer auf seinen Stock stützte, gekleidet in eine Art Rangeruniform mit einem Käppi auf dem Kopf, das unerklärlicherweise einen Anstecker mit einer britischen Flagge hatte. Es war ein Fachgespräch unter Gleichrangigen. Die Fakten flogen einem nur so um die Ohren: Flughöhen, Flugwinkel, Uhrzeiten……. Ein Stichwort gab das andere: „Kennen sie auch Andreas von Bülow?“ „Selbstverständlich. Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Unter Helmut Schmidt“. Das Gespräch war fast emotionslos, dafür aber sehr intensiv. Der korpulente Herr äußerte lediglich Bekümmerung über sich selbst. Denn er hätte so viel überlegt um seine eigenen Vermutungen zu entkräften, aber es wäre einfach nicht anders möglich. „Niemals hätte ein Fluganfänger diesen Winkel fliegen können…..“ und: „ 9.24 Uhr!! Das wäre doch absurd, dass Al-Quaida Interesse am Tod der vielen kleinen Leute gehabt hätte. Die hätten doch das Finanzkapital treffen wollen, und die ganzen Juden kamen doch erst nach 12 Uhr in ihre Büros!“ Paul S. hielt sich bedeckt, und wiederholte seinen Spruch: „Man kann es so sehen, …..“

Wohl wissend, dass es nach einer solchen Veranstaltung – egal wie sie verlaufen würde – nichts Schöneres geben kann als ein entspanntes, und nur privates Gespräch unter angenehmen Menschen, hatte ich mich anschließend bei Freunden zum Kaffeetrinken eingeladen. Der Kaffeetisch war schon gedeckt. Die einzigen Sätze, die dabei über die nachmittägliche Veranstaltung fielen waren: Ich hatte meine Verwunderung darüber geäußert, dass keine Einwohner des Ortes gekommen waren. Ich erhielt die Antwort: „Ach, die S., die sind hier im Ort sehr unbeliebt. Zu denen geht von uns keiner“.

Im Luftreich des Traums

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