Donnerstag, 2. Juli 2020

Alte Geschichten

Gestern saßen wir mit einem Freund zusammen und sprachen von früheren Zeiten. Wir mussten uns bewusst machen, dass er eine Generation jünger ist als wir, und dass er unsere Berichte nicht als gleichwertig ansah, sondern als Berichte der Älteren. Was haben wir nicht alles im Kommunismus erlebt, und was haben wir indirekt durch die Erzählungen der Mitmenschen miterleben können! Ich denke sogar, unsere Erlebnisse wären interessant, aber interessieren sie jemanden?

Ich erzählte gestern dem Freund., wie ich den Spruch: „Der Verbrecher kommt immer einmal an den Ort seiner Tat zurück“. zweimal erlebt habe. Mein Bruder hatte beim Lesen seiner Stasiakte herausbekommen, dass die belastenden Berichte, die zu seiner Verhaftung geführt hatten, von B. gekommen waren. „Pongo“, sein treuer Kumpel, gutmütig und unzuverlässig. Um die Berichte ging es wahrscheinlich gar nicht so, denn meinen Bruder hätte man sicher auf irgendeine Weise sowieso in den Westen katapultiert - renitent, wie er war, aber diese Berichte waren eben der Anlass, um ihn vor´s Gericht zerren zu können wegen: Fluchtabsichten. Genau um diese Zeit, als mein Bruder schon von den Spitzelberichten wusste, wir dementsprechend auch, tauchte B. in meiner Werkstatt auf. B. tat so, als wolle er etwas bei mir bestellen, er hatte gerade eine neue Frau, mit der er sich einrichten wollte. (Später erlebte ich ihn noch mit einer weiteren neuen Frau). Ebenso wie ich es schon einmal bei einem ominösen Besucher erlebt hatte, wurde die Bestellung nicht konkretisiert, sondern nur angedeutet. Ich ließ mir mit keiner Miene etwas anmerken, weil mir die Sache sowieso egal war, und ich die Geschichte eher lächerlich fand.

Einige Jahre später hatte ich ein Déjavu. Mich besuchte mein früherer Klassenkamerad G. Der war ganz früher bei der Armee, dann war er irgendwie in der Stadtverwaltung, Abteilung Inneres, in Wismar gelandet, und hatte bei einem Klassentreffen damit angegeben, dass er über alles, was in Wismar geschieht, Bescheid weiß. Ebenso wie damals B., empfing ich G. dann auch freundlich, plauderte mit ihm, und ließ mir wirklich nichts anmerken, schon weil mir der Grund seines Besuchs erst hinterher einfiel: In Wismar war ja mein anderer Bruder vor der Wende Pfarrer gewesen, hatte da allerhand Spektakuläres veranstaltet, schließlich eine Amerikanerin unter großer Teilnahme der Bevölkerung geheiratet (der Marktplatz vor dem Standesamt war brechend voll, sicher 1000 Leute, die einfach nur „Anteil nahmen“ (wieviel davon von der Stasi waren, ist nicht zu ermitteln), und DDR-Fähnchen und US-Fähnchen schwenkten.

Jedenfalls hatte der G. sicher auch seinen Anteil an der Bespitzelung meines Bruders. Dieser bekam nach der Wende sogar Fotos, von Aufpassern, wie sie in einem Nachbarhaus auf ihn lauern, in die Hand. Als ich später über die Angelegenheit nachdachte, wunderte ich mich: So ganz justiziabel waren ihre Taten wohl nicht. Mich interessierten sie gar nicht. Aber irgendwie muss es doch in den Menschen innerlich arbeiten, sie fühlen sich unwohl, und wollen irgendwie heraus bekommen, welche Einstellung ihre früheren „Opfer“, bzw. ihre Angehörigen zu ihnen haben. Besucht haben beide mich nie mehr

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