Dienstag, 9. Juni 2020

Pfingsten in Vorpommern (Teil III)

Der nächste Halt galt einem kleinen Städtchen, so eins, wie man es früher als Marktflecken bezeichnete. Aus den umliegenden Dörfern fuhren damals die Menschen mit Kleinbahn und Bus dorthin zum Einkaufen. Die Stadt hat eine wunderbare Lage, weit über eine Ebene zu sehen, ist sie auf einer Art Tell gelegen, 2 alte Stadttore und eine schlichte, sehr große Kirche in Backsteingotik prägen die Silhouette. Die Struktur des Städtchens ist so schön, dass sie nach der Wende zur Modellstadt erklärt wurde und besondere städtebauliche Förderung genoss. So begeistert ich immer wieder von dem Städtchen bin, ebenso deprimiert bin ich jedes mal wenn ich es verlasse. Die Stadt ist tot. Mehrmals durchfuhr ich sie in ihrer ganzen Länge und sah nicht einen einzigen Menschen auf der Straße. So ein leeres, verlassenes Städtchen kann man sich gar nicht vorstellen. Sicher führt die Stadt im Verborgenen auch ein Eigenleben, man müsste sich länger dort aufhalten, um dieses zu entdecken.

St-Thomas

Dafür hielten wir nicht lange genug. Wir parkten auf dem vor Kurzem für ca. 100 000 € sanierten Kirchenplatz. Vor der Sanierung war der Kirchenplatz ein lauschiger Ort, der im Einklang mit der gotischen Backsteinkirche war. Jetzt war der Kirchenplatz ein von stadtarchitektonischer „Meisterhand“ gestalteter fremder Platz, der nichts mit der Kirche gemeinsam hat. Verschiedene Pflasterungen edler Art gab es und Stelen, die zu nichts taugten. Die in coronamäßigen Abständen gereihten Würfel sollten wohl Sitzgelegenheiten sein. Ein riesiges metallenes „Kunstwerk“ bildete das Ende des Platzes. Zu Glück war die Bezeichnung des Kunstwerks mitgeliefert, es hieß „Der Bassist“. Leider bin ich nicht bibelkundig genug, um mich an einen Bassisten aus der Bibel zu erinnern, mir kam nur König David mit der Harfe in den Sinn, vielleicht hatte eine Verwechslung der Musikinstrumente vorgelegen. Mit einigem Entsetzen stellten wir fest, dass wir gerade zuvor das idyllische Atelier des Künstlers besucht hatten, auf dem sehr schöne Kunstwerke zu sehen waren.

Ich konnte mir nur vorstellen, dass dieser „Bassist“ aus dem Fundus des Künstlers stammte von Kunstwerken, die er loswerden wollte. Dass der „Bassist“ wirklich Kunst war, konnte man an dem daneben aufgestellten Schild ersehen:

18
"Das Kunstwerk ist kein Spielgerät"

Nun ist der Bassist so stabil, dass kein kletterndes Kind ihm etwas zuleide tuen kann, möglicherweise hat diese drohende Aufschrift mit Sicherheitsvorschriften zu tun.
Ich dachte, es wäre wahrscheinlich wirklich sinnvoller gewesen, hier einige nette Spielgeräte aufzustellen, und eine Atmosphäre zu schaffen, wo Kinder sich wohl fühlen. Die Stadt macht einen Eindruck, dass sie um jedes einzelne Kind ringen sollte, damit Kirchengemeinde und Stadt eine Zukunft haben. Wenn an dieser Stelle zu Pfingsten ein Geist walten sollte, dann könnte man ihn als Geist der Absurdität bezeichnen.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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