Mittwoch, 12. Februar 2020

Aus dem wahren Leben

Eines Tages, ich trat gerade aus der Haustür, standen meine Schulfreundin Monika mit ihrem Mann Horst vor mir. Sie waren für ein verlängertes Wochenende in diese Gegend gefahren, und waren nun zu einem Überraschungsbesuch zu mir gekommen. Ich hatte Zeit, und so machten wir uns ein schönes Plauderstündchen bei Kaffee und Kuchen. Kinder, Enkelkinder, unsere gemeinsamen Erinnerungen und die Arbeit boten Gesprächsstoff genug. Monika war vor der Wende Volkspolizistin gewesen, ihr Mann Grenzkontrolleur. Als ich sie damals einmal besuchte, hatte er triumphierend erzählt, wie er jemanden „den er auf dem Kieker hatte“, ein Buch abgenommen hat. Nach der Wende war ihr Leben gehörig durcheinander gewirbelt worden, aber sie hatten es geschafft, wieder Fuß zu fassen. In einfachen Berufen, gemäß dem Motto: "Genossen, in die Produktion!" Unzufrieden mit ihrem Leben waren sie keineswegs und die Freuden und Annehmlichkeiten der Gegenwart wussten sie zu schätzen. Nach einer Stunde brachen die beiden wieder auf. Wir umarmten uns und versprachen, uns wieder zu besuchen.

Gerade an dem Tag bekam ich noch einmal unerwarteten Besuch. Diesmal war es meine alte Tante. Sie erzählte mir, dass sie mittags einen Dokumentarfilm über das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen in Phoenix gesehen habe, der sie so bewegt hatte, weil wieder die Erinnerungen an die schreckliche Zeit, als ihr Sohn im Stasi-Gefängnis war, in ihr erwacht waren. Ich erinnerte mich gut, wie wir mit unserer Tante mehrmals zu Rechtanwalt Schnur gefahren sind, wie wir durch einen Spalt im Zaun des Bezirksgerichts beobachten konnten, wie unser Cousin in Handfesseln zum Gerichtssaal geführt wurde, nachdem uns die Gerichtsangestellten durch fiese Fehlinformationen davon abgehalten hatten, der Urteilsverkündung beizuwohnen. Und wie meine Tante immer erschüttert von ihren Gefängnisbesuchen nach Hause zurückkehrte.

So hielten wir noch einmal kurz Rückschau auf diese Zeit, und meine Tante sagte: "Das Furchtbarste für mich waren die kalten und reglosen Gesichter der Gefängnisleute. Ich dachte: "Gut, dass sie nicht weiß, dass ich mich heute noch mit einem Menschen, der auch zu jenen gehörte, herzlich umarmt habe".

Im Luftreich des Traums

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