Samstag, 4. Januar 2020

Zum Tod von Hermann Gremlitza oder: Was hatte ich mit Hermann Gremlitza gemeinsam?

Die Nachricht vom Tod des „konkret“-Herausgebers H.L. Gremlitza scheint ziemlich unbeachtet durch die Medien gegangen zu sein. Um die Jahrtausendwende herum hatte ich einige Jahre lang seine Zeitschrift abonniert. Ich ließ es dann wieder: die Sprache gefiel mir nicht, das allzu „Linkslastige“ ebenfalls nicht, da ich es in meinem Leben zur Genüge erfahren hatte. Gemeinsam hatte ich mit ihm seine unbedingte Abscheu gegen „Nazihaftes“ und sein Eintreten für Israel.

Einmal kam es zu einer Begebenheit, wo Gremlitza und ich im übertragenen Sinn direkt zusammen trafen. Ich schlug die vom Briefträger gelieferte Zeitschrift „konkret“ auf, überflog eine gedruckte Todesanzeige, las einen mir bekannten Namen, und ohne Nachdenken zu müssen, fügte sich für mich ein Bild zusammen, das mir bis heute unglaublich erscheint.

Die Vorgeschichte ist, dass wir uns Ende der 80-ger/Anfang der 90-ger Jahre mit einem Ehepaar aus dem Westen, das eine Generation älter war als wir, angefreundet hatten. Ursprünglich Freunde meiner Eltern, kamen sie mehrmals zu Besuch, weil sie Verwandte in der Gegend hatte, bei denen sie nicht wohnen konnten. Der Mann war in Baden Württemberg Direktor einer Internatsschule, die Frau, eigentlich Theologin, hatte eine Schar Kinder groß gezogen. Sie war das, was man als muntere schwäbische Hausfrau bezeichnet, er ein etwas verspäteter 68-ger. Der Mann war in der Friedensbewegung aktiv, hatte an Sitzblockaden teilgenommen und war sogar dafür verhaftet worden. Wir haben nur gute Erinnerungen an diese Begegnungen: gemeinsame Ausflüge, ganz viel Erzählen: wie es im Westen - in ihrem entsprechenden Milieu - zugeht , ihre Anteilnahme an unseren heran wachsenden Kindern und vieles mehr.

Und nun las ich im „konkret“ den Namen dieser meiner Freundin als Unterzeichnerin einer Todesanzeige. Damals kam es in Mode, in überregionalen Zeitungen Todesanzeigen für seine im Krieg gefallenen Väter und Brüder zu setzen, mit entsprechenden Texten dazu. H.L. Gremlitza war eine besonders makabre Todesanzeige aufgefallen und versuchte sich (vergeblich) mit den Unterzeichnern in Verbindung zu setzen. Aus der im „konkret“ nachgedruckten Anzeige erfuhr ich erst, dass unsere Freundin zwei Brüder im Krieg verloren hatte. Sie und ihre Schwester hatten die Anzeige, ich glaube in der FAZ, gesetzt. Mit eisernem Kreuz darauf, es wurde von Russland- und Frankreichfeldzug geschrieben und: wörtlich! „ihr Tod war nicht umsonst“, ja noch Absurderem: "ihr Anliegen war Völkerverständigung".

Solche Anzeigen, unabhängig davon wer sie setzt, setzen geradezu den Nazigeist frei. Eisernes Kreuz - Symbol des Krieges, ohne jegliche Distanzierung davon. Russland- und Frankreichfeldzug als Völkerverständigung. Das waren sie - allerdings hat man sich mit den Völkern eben auf die „deutsche Art“ verständigt. So war es keine Lüge. Wenn ich mir vorstelle, dass diese Anzeige von einer Theologin veröffentlicht wurde!

Ich dachte an dieses nette Ehepaar: Sie haben bei Weitem das meiste Geld gespendet, als ich einmal eine Sammlung für einen ihnen völlig unbekannten Ausländer machte. Zwei ihrer Kinder sind mit Ausländern verheiratet, ihre Tochter lebte ihr halbes Leben in einem Dorf am Mittelmeer, und die gesamte Familie hat unzählige Urlaube dort verbracht, sie war in dem Dorf in Frankreich wie zu Hause. Sie haben wirklich Völkerverständigung gelebt, aber warum müssen sie ihren umgekommenen Brüdern, die freiwillig oder gezwungen, an einem Krieg teilnahmen, von dem klar ist, mit welch ungeheuren Verbrechen er verbunden war, bescheinigen: Was diese machten, war auch etwas in diesem Sinne von Verständigung?

Ich habe mich zu der Ansicht durchgerungen: ´Unbedarftheit ist manchmal auch eine Erklärung für Unerklärliches. Aber auch Unbedarftheit bedarf geistiger Hintergründe`.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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