Eins greift ins Andere (Ein Erlebnisbericht in fünf Teilen - IV)
Wir beide hatten uns auch vorgestellt, daraufhin begann ich den Vortrag. Zuerst erzählte ich die Vorgeschichte, wie es so weit gekommen ist, dass ich hier sitze: das Seminar in Güstrow, die Bekanntschaft mit Professor Schmidt, meine Rezension seines Buches in der Kirchenzeitung. Dann erzählte ich straff zusammengefasst, worum es in dem Buch geht: Welche Wirkung die sehr emotionalen und in vieler Hinsicht beeindruckenden Passionen von Bach in den Menschen hervorrufen können. Dass die Passionsmusiken sich auf Texte in den Evangelien beziehen, die eindeutig judenfeindlich sind und die eine Blutspur durch die Geschichte gezogen haben. Dass das Bewusstsein darum weder Verurteilung von Evangelien noch Passionstexten bedeuten, sondern dass man sich der Geschichte und der Wirkung bewusst sein sollte, die geschichtlichen Zusammenhänge kennen und eine Stellung dazu finden und haben solle. Rhetorisch war der Vortrag sicher nicht einwandfrei – ich bin es nicht gewohnt, Vorträge zu halten. Aber ich sprach frei und las einige selbst erlebte Anekdoten, z.B. wie ich dabei war, als eine junge mecklenburgische Pastorin der jüdischen Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide direkt und – ich würde es so bezeichnen – frech ins Gesicht sagte: „Die Juden haben Jesus gekreuzigt“ Oder ich machte die Bemerkung, dass die meisten Menschen ihre lieb gewonnen Antipathien nicht gern lassen, was auf Juden bezogen nach dem Krieg schlecht möglich war, und man die durch die Jahrhunderte gepflegte Abneigung gegen Juden kulturell transmittierte. Der Besuch der Passionsmusiken hat nach dem Krieg einen großen Aufschwung genommen, so wie nebenbei gesagt, auch die Verehrung für Wagnermusiken.
Während meines Vortrags, der etwa eine Dreiviertelstunde dauerte, schaute der Pastor mich aufmerksam an. Ich würde fast sagen, er hing an meinen Lippen. ´Was für Gespräche mögen sich mit ihm vielleicht ergeben`?, fuhr es mir durch den Kopf. Kaum hatte ich geendet und noch um eventuelle Fragen gebeten, da legte Pastor J. los, ohne überhaupt eine Denkpause zu lassen. Ja, er ging mich frontal an. Meinen Vortrag lehne er komplett ab, Judenfeindlichkeit gibt es in den Evangelien nicht und er lasse sich seinen Matthäus nicht schlecht machen. Ich fragte etwas entgeistert, was denn die Ursache für die Pogrome an den Juden, Vertreibungen und Inquisition in der Geschichte gewesen wären. Das hätte alles auf Missinterpretationen beruht, antwortete mir Pastor J.
Darauf schaltete sich ein zweiter Mann an, und der wurde schon nicht mehr theologisch, sondern menschlich aufbrausend und bewegte sich mit seinen Aussagen am Rand der Unhöflichkeit. „Ich bin sowieso dagegen, ständig in altem Schlamm zu wühlen….“ Mir fiel nichts Besseres ein als ihm zu sagen, das wäre doch nun mal Thema des Abends und dann solle er bitte nicht in der Bibel lesen, denn die wäre besonders alt. Darauf hatte er keine Antwort, was ihn noch wütender zu machen schien. Weitere Aussagen oder Fragen wurden getätigt, alle von Männern, die sich hinter ihren Pastor stellten (was ich irgendwie auch rührend fand). An manche Fragen, Aussagen und an ihre Reihenfolge kann ich mich nicht mehr erinnern. Einmal, als es mir zu dumm wurde, sagte ich: „Herr Pastor J. Sie wissen doch in der Kirchengeschichte Bescheid, erzählen sie doch bitte etwas über die Rolle der evangelischen Kirche in der Nazizeit“. Ohne Zögern gab er die Antwort: „Da gab es den verrückten Spinner Müller, aber dann gab es auch die bekennende Kirche und Bonhoeffer, und deren Rolle wird bedeutend unterschätzt“. Er erzählte noch, dass es in seiner Gemeinde einen Kelch von Bonhoeffer gegeben hat.
In mir spielten sich nun andere Gedanken ab. Als erstes empfand ich einfach nur Verblüffung. Da man mich wegen des Artikels eingeladen hatte, war ich ohne zu hinterfragen davon ausgegangen, dass eine gewisse Übereinstimmung in den Ansichten vorliegt. Aber natürlich: Herr B. hatte mich eingeladen, um ein interessantes Thema für den von ihm und seiner Frau veranstalteten Abend zu haben. Er war tütelig genug, um nicht zu erkennen, dass die Ansichten seines ehemaligen Gemeindepastors und meine nicht kompatibel waren. Wie nett das Ehepaar B. mich empfangen hatte, fiel mir ein. Wir müssen hier ´rauskommen, ohne dass es eklatmäßig zugeht, und ich darf keinen Keil in diese sonst ganz nette Gesellschaft treiben! Zwischendurch packte mich die Wut: Was, ich bin doch eingeladen worden, ich fahre 300 km mit dem Auto hierher und muss mir das anhören! Auch wunderte ich mich im Stillen, dass sich nach 40 Jahren Gesprächskreis nicht eine Gesprächskultur mit Für und Wider, Ja und Aber, Einerseits und Andererseits entwickelt hat. Zumindest bei Auseinandersetzungen hätte eine gewisse Moderation erfolgen müssen. Diese Rolle wäre natürlicherweise dem Pastor zugefallen. Ich stellte mir vor, dass die „normalen“ Gesprächsabende so stattfinden, dass einer ein Thema vorgibt, und jeder sagt nach und nach etwas „Positives“ dazu, wie ich es auch schon anderswo erlebt habe. In dieser Hinsicht war der Abend für die Gruppe vielleicht ein heilsames Erlebnis.
Während meines Vortrags, der etwa eine Dreiviertelstunde dauerte, schaute der Pastor mich aufmerksam an. Ich würde fast sagen, er hing an meinen Lippen. ´Was für Gespräche mögen sich mit ihm vielleicht ergeben`?, fuhr es mir durch den Kopf. Kaum hatte ich geendet und noch um eventuelle Fragen gebeten, da legte Pastor J. los, ohne überhaupt eine Denkpause zu lassen. Ja, er ging mich frontal an. Meinen Vortrag lehne er komplett ab, Judenfeindlichkeit gibt es in den Evangelien nicht und er lasse sich seinen Matthäus nicht schlecht machen. Ich fragte etwas entgeistert, was denn die Ursache für die Pogrome an den Juden, Vertreibungen und Inquisition in der Geschichte gewesen wären. Das hätte alles auf Missinterpretationen beruht, antwortete mir Pastor J.
Darauf schaltete sich ein zweiter Mann an, und der wurde schon nicht mehr theologisch, sondern menschlich aufbrausend und bewegte sich mit seinen Aussagen am Rand der Unhöflichkeit. „Ich bin sowieso dagegen, ständig in altem Schlamm zu wühlen….“ Mir fiel nichts Besseres ein als ihm zu sagen, das wäre doch nun mal Thema des Abends und dann solle er bitte nicht in der Bibel lesen, denn die wäre besonders alt. Darauf hatte er keine Antwort, was ihn noch wütender zu machen schien. Weitere Aussagen oder Fragen wurden getätigt, alle von Männern, die sich hinter ihren Pastor stellten (was ich irgendwie auch rührend fand). An manche Fragen, Aussagen und an ihre Reihenfolge kann ich mich nicht mehr erinnern. Einmal, als es mir zu dumm wurde, sagte ich: „Herr Pastor J. Sie wissen doch in der Kirchengeschichte Bescheid, erzählen sie doch bitte etwas über die Rolle der evangelischen Kirche in der Nazizeit“. Ohne Zögern gab er die Antwort: „Da gab es den verrückten Spinner Müller, aber dann gab es auch die bekennende Kirche und Bonhoeffer, und deren Rolle wird bedeutend unterschätzt“. Er erzählte noch, dass es in seiner Gemeinde einen Kelch von Bonhoeffer gegeben hat.
In mir spielten sich nun andere Gedanken ab. Als erstes empfand ich einfach nur Verblüffung. Da man mich wegen des Artikels eingeladen hatte, war ich ohne zu hinterfragen davon ausgegangen, dass eine gewisse Übereinstimmung in den Ansichten vorliegt. Aber natürlich: Herr B. hatte mich eingeladen, um ein interessantes Thema für den von ihm und seiner Frau veranstalteten Abend zu haben. Er war tütelig genug, um nicht zu erkennen, dass die Ansichten seines ehemaligen Gemeindepastors und meine nicht kompatibel waren. Wie nett das Ehepaar B. mich empfangen hatte, fiel mir ein. Wir müssen hier ´rauskommen, ohne dass es eklatmäßig zugeht, und ich darf keinen Keil in diese sonst ganz nette Gesellschaft treiben! Zwischendurch packte mich die Wut: Was, ich bin doch eingeladen worden, ich fahre 300 km mit dem Auto hierher und muss mir das anhören! Auch wunderte ich mich im Stillen, dass sich nach 40 Jahren Gesprächskreis nicht eine Gesprächskultur mit Für und Wider, Ja und Aber, Einerseits und Andererseits entwickelt hat. Zumindest bei Auseinandersetzungen hätte eine gewisse Moderation erfolgen müssen. Diese Rolle wäre natürlicherweise dem Pastor zugefallen. Ich stellte mir vor, dass die „normalen“ Gesprächsabende so stattfinden, dass einer ein Thema vorgibt, und jeder sagt nach und nach etwas „Positives“ dazu, wie ich es auch schon anderswo erlebt habe. In dieser Hinsicht war der Abend für die Gruppe vielleicht ein heilsames Erlebnis.
anne.c - 29. Okt, 11:06