Mittwoch, 9. Oktober 2019

Sah Westdeutschland in der DDR einen Unrechtsstaat? Oder: Staat liebt Staat

Folgendes erzählte mir ein Bekannter. Ich fragte ihn, was seine Frau für einen Beruf hat, und er antwortete, dass sie Lehrerin an einer Schule für Behinderte ist. Ihre Ausbildung hat sie in der DDR in den kirchlichen Fürstenwalder Samariteranstalten zur Psychiatriediakonin gemacht und hatte schon mehrere Jahre Praxis in der Arbeit mit behinderten Menschen, als die Mauer fiel. Solcherart Ausbildungen gab es in der DDR an mehreren Orten und zu verschiedenen sozialen Berufen. Kennzeichen der kirchlich ausgebildeten Berufe war es, dass der DDR-Staat sie nicht anerkannte, obwohl durch die Westkontakte der Kirchen die Ausbildungen breiter und qualifizierter als vergleichbare staatliche waren. Die Ausgebildeten arbeiteten normalerweise sowieso in kirchlichen Einrichtungen. So viel hatte ich gewusst.

Was ich nicht gewusst hatte war, dass der DDR-Staat diese Berufe aus dem Grund nicht anerkannte, weil die nötige politische Qualifizierung, d.h. das Studieren der Lehren von Marx und Engels und die dazu gehörenden Prüfungen in kirchlichen Ausbildungen fehlten. Im Zuge der Einigungsverhandlungen kam auch dieses Thema zur Sprache, und es war offensichtlich: der westdeutsche Staat kann die kirchlichen Berufe nicht anerkennen, wenn sie nicht den DDR-staatlichen Abschluss haben. Auch wenn die Leute schon Jahre Berufserfahrung hatten. Allerdings hatten sie später die Möglichkeit, in Gesamtdeutschland noch eine Zusatzschulung samt Berufsanerkennung zu machen (ob nun auch in Marxismus-Leninismus? Wohl eher nicht.), von der die meisten einen Gewinn hatten. So auch die Frau meines Bekannten.

Ärgerlich war es trotzdem, weil bei Neugründungen von Schulen oder sozialen Einrichtungen die ehemaligen Pionierleiterinnen mit ihrem DDR-Grundschullehrerabschluss den "unqualifizierten" kirchlichen Mitarbeitern trotz Berufserfahrung vorgezogen wurden.

Allerdings hatte man der Frau meines Bekannten schon vor der Vereinigung noch etwas anderes angeboten: In dem halben Jahr, als es die so genannte demokratische DDR gab, also die mit der frei gewählten Volkskammer, da gab man den „beruflich nicht Anerkannten“ die Möglichkeit, noch in Kursen und im Eiltempo den Marxismus-Leninismus zu studieren und eine dazu gehörende Abschlussprüfung abzulegen. Dann wären sie zu voll vom DDR-Staat und somit auch vom BRD-Staat anerkannten Berufskräften geworden. Mein Bekannter sagte, da wären sich seine Frau und andere zu blöd vorgekommen, und sie nahmen lieber die Nachschulung im Westen – in welchen Fächern auch immer – in Kauf.

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