Meine Reise in die Ukraine vom 14. bis zum 23. Juni 2019 (Teil 2)

Stausee in Tarnopol
Meine erste Begegnung mit dem für mich fernen, nur durch die Literatur bekannten Osten war die Stadt Przemysl in Polen. Eine ganze Nacht waren wir, die Reisegruppe, die in Berlin zusammen getroffen war, im Schlafwagen quer durch Polen gefahren. In Przemysl/Polen ging jeder vor der Abreise in die Ukraine einige Stunden für sich allein spazieren. Auf einem größeren Platz war eine gewaltige, überlebensgroße Figur von Johannes Paul II. zu bewundern. Schon auf der Fahrt hatte ich beobachtet, dass über jedem Dorf und Städtchen in Polen ein Kreuz schwebte, mal auf einer alten Kirche, oft aber auch auf neu gebauten, modernen Kirchen. Die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges reichte noch, um das Museum der Stadtgeschichte zu besuchen. Hier war ich verwundert: Geschichtliche Ereignisse wie etwa die Teilung Polens, die Zeit des zweiten Weltkriegs oder die kommunistische Zeit existierten hier nicht, nicht einmal Zeugnisse der Frühgeschichte. Dafür sah man alte Möbel, Trachten, Kunstwerke von bedeutenden Einwohnern der Stadt und Bilder von Adligen. An nichts war etwas Spezielles über die Stadt zu entdecken. Aber das war egal, unsere Reise fing ja erst an.
Nachdem wir die polnisch-ukrainische Grenze durchfahren hatten, änderte sich das Landschaftsbild schlagartig. In Polen sah man in den Dörfern frisch renovierte und neue Häuser, sehr oft von einer Hecke aus Lebensbäumen umstanden. Nun, in der Ukraine, wirkten die Dörfer ausgesprochen ärmlich, die grauen Häuser versteckten sich in Baum- und Strauchwerk. Obwohl die Häus´chen keine Strohdächer, so wie früher, mehr hatten, sondern fast ausnahmslos Wellblechdächer, wirkten sie malerisch, besonders da aus dem kargen Grau oft eine prächtige, teilweise blau bemalte und mit mehreren goldglänzenden Kuppeln versehene orthodoxe Kirche heraus schimmerte. Die Reiseleiterin erzählte später, dass einige Kirchen neu gebaut sind, viele aber in der Sowjetzeit zu Lagerhäusern, Kinos, Wartehallen u.ä. degradiert waren und nach dem Zeitumbruch schnellstens wieder hergerichtet wurden und zwar prunkvoll.
Wir kamen in der Stadt Tarnopol an. Unser Hotel lag direkt an einem großen See, einem Stausee, wie wir später erfuhren, der schon im Jahr 1548 angelegt worden war. Es war der Abend vor dem orthodoxen Pfingstfest. Wir hatten den Eindruck, die gesamte Jugend von Tarnopol vergnügt sich am See. Es gab Wasserspiele, viele Kinderspielanlagen, offene Gaststätten. Die Menschen flanierten. Besonders fielen die sehr jungen Paare auf, die fast immer ein Kindchen in ihrer Mitte hatten. Bis jetzt hatte ich Ukrainer nur in Tschechien erlebt, wo sie als Gastarbeiter die schweren Arbeiten verrichten. Hier wirkten sie ganz anders: jung, selbstbewusst und aufstrebend.
Unsere ukrainische Reiseleiterin Marija, promovierte Germanistin, begrüßte uns und bereitete uns auf den Verlauf der Reise vor. Sie war sehr kompetent, sowohl im Erklären und Übersetzen als auch im Vermitteln praktischer Wünsche (außer meinem Wunsch zu entsprechen, Briefmarken zu kaufen und das Porto für eine Postkarte zu erfahren, so etwas kennt in der Ukraine niemand). Sie begleitete uns die ganze Fahrt über, ebenso wie die deutsche Reiseleiterin Gisela, die hauptsächlich für Organisatorisches zuständig war. Während der Busfahrten las Gisela uns oft etwas vor, was auf unsere Erlebnisse bezogen war und diese vertieften. Wir hörten gern zu, denn in den „grünen Tunneln“ war es etwas langweilig. In den beiden großen Städten Tarnopol und Schytomir übernahm jeweils ein Germanist von der dortigen Universität den „Stadtrundgang“. Die Bildung und Weltoffenheit der ukrainischen Reiseführer waren beeindruckend. Einer war ein großer Kenner und Bewunderer von Brecht und Wolf Biermann. Was die Hotels betraf - vier haben wir kennen gelernt -, so hatten sie guten Standard, und ich kann keine der abenteuerlichen Geschichten erzählten, die ich von den Ukrainetouristen vor ca. 25 Jahren hörte, nachdem diese wieder ihre alte Heimat Wolhynien hatten besuchen können.
(Fortsetzung folgt)
anne.c - 10. Aug, 23:07