Mittwoch, 25. Oktober 2017

Die Vertriebenen aus der Tschechoslowakei (Teil 2)

Das Denkmal über die Vertriebenen in Sedlčany legte eine Spur, zu weiteren Entdeckungen. Anlass zu jenem Spaziergang in Sedlčany war ein Konzert der in Tschechien legendären Sängerin Marta Kubišová, die ihre Abschiedstournee gab. Da ihre Konzerte restlos ausverkauft sind, bekamen wir nur noch Karten für das uns bis dahin unbekannte Örtchen Sedlčany. Es war reiner Zufall, dass wir dort gelandet sind. Während unsere Gastgeber eine Verabredung wahrnahmen, machten wir – mein Mann und ich – den Spaziergang bei dem wir auf das Denkmal stießen.

Nachdem wir die Geschichte der Vertreibung der ansässigen Bevölkerung 1942-44 für den berüchtigten "SS-Truppenübungsplatz Böhmen“ erkundet hatten – die Fakten sind selbst in Tschechien kaum bekannt -, stellten wir fest, dass eine berühmte Adlige, Baronin Sidonie Nádherná von Borutín, Freundin von Rainer Maria Rilke und Geliebte von Karl Kraus – welcher auf Sidonies Schloss Janovice seine berühmte Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ verfasste, direkt von dieser Vertreibung betroffen war.

Sidonie Nádhernás Schloss Janovice wurde 1942 von den Deutschen zwangsenteignet, und 1944, in der zweiten Etappe zur Errichtung des "Truppenübungsplatzes SS-Böhmen“ zwangsgeräumt. Sidonie musste in einer kümmerlichen Kate ohne Strom und fließendes Wasser hausen. Das Schloss wurde als Mannschaftskaserne zweckentfremdet. In Janovice gab es ein Außenlager des KZ Flossenbürg, in dem insgesamt bis zu 3000 Häftlinge Zwangsarbeit leisteten. Die Toten des Lagers wurden zuerst in Prag, später im Schlosspark verbrannt. Nur das Kriegsende verhinderte, dass auf dem Gelände eine geplante Gaskammer errichtet wurde.

Das Schloss erhielt Baronin Nádherná, die ihren ganzen Lebenssinn auf die Erhaltung dieses Schlosses gerichtet hatte und beharrlich um die Erhaltung des Schlosses und seines Parks bei den jeweiligen Machthabern kämpfte, 1945 vollkommen verwüstet zurück, nachdem es noch eine Weile der Roten Armee als Reparaturwerkstatt für Panzer gedient hatte. 1948 erlitt Sidonie das Schicksal vieler Tschechen. Sie wurde erneut enteignet - diesmal von den Kommunisten, die sie zugleich in absurder Weise der Kolaboration mit den deutschen Besatzern bezichtigt haben. Die Baronin starb nach einer Flucht aus dem Lande 1950 mittellos in England. Später diente das Schloss als Lagerhaus. Dem Nationalmuseum in Prag ist es zu verdanken, dass es im miserablen Zustand überhaupt erhalten blieb. Einen großen Verdienst um die Restaurierung hatte in den 90-ger Jahren Michael Naumann, der damals als deutscher Staatssekretär für Kultur eine Million DM für den Neuaufbau des Schlosses zur Verfügung stellte.

kubi-ka

Wie es der Zufall will: Jene Marta Kubišová, zu deren Konzert wir nach Sedlčany gefahren waren, spielte und sang in ihrem „Theater Ungelt“ in Prag in einem Musical mit dem Titel „Sehnsucht namens Einodis“, worin Szenen aus dem Leben der Baronin Nádherná lebendig wurden. Die Sängerin machte das Leben einer bemerkenswerten Frau wieder lebendig und schuf dadurch auch eine Brücke zur Erinnerung an die Vertreibung von 30 000 Tschechen, die einem „Volk ohne Raum“ Platz machen sollten.

Das Leben der Marta Kubišová ist ebenso bemerkenswert wie das der Sidonie. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es eines Tages auch zu einem Musical verwendet würde.

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