Mittwoch, 2. November 2016

„Kleine Leute“

Von einer Bekannten hörte ich: „Bei uns ist niemand für Flüchtlinge“. Wer ist mit „uns“ gemeint? In diesem Fall waren es die Mitglieder einer Wandergruppe, die in einer größeren Stadt organisiert ist. Und warum ist aus dieser Gruppe „niemand“ für Flüchtlinge? In der Gruppe fanden sich ausschließlich Menschen zusammen, die man landläufig als „kleine Leute“ bezeichnet. Ihre Gehälter und Rente sind so bemessen, dass sie gerade über die Runden kommen. Es sind Menschen dabei, die regelmäßig Zeitungen austragen, um ihr Salär etwas aufzubessern. Sie sind nicht arm, müssen sich aber anstrengen, damit sie nicht unter die Armutsgrenze rutschen. Zu ihren Wanderungen reist die Gruppe nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Die Teilnehmer haben in den letzten Jahren erlebt, wie immer weitere Bahnstrecken still gelegt wurden, so dass sich das Gebiet für die Wanderungen sehr verringert hat. Gleichzeitig vernehmen sie: hier „sprudeln“ die Steuern. Dass „sprudelnde“ Steuern zur Erhaltung der Infrastruktur eingesetzt werden könnten, zumal angeblich Klimaschutz ganz groß geschrieben wird, ist kaum zu bemerken. Bei ihren Zugfahrten erlebten sie mehrmals, wie Flüchtlinge ohne Fahrkarte mit sofort ausgestellten Ersatzfahrkarten ausgestattet wurden, während sie selbst sich ihre Fahrkarten haben kaufen müssen.

Die Ansichten in meinem Bekanntenkreis über die „Flüchtlingsproblematik“ sind breit gefächert. Es gibt dort Menschen, für die es die Erfüllung ihres Daseins ist, sich um Flüchtlinge zu kümmern, insbesondere sind es allein stehende Frauen, und sie berichten von beglückenden Erlebnissen. Weiterhin kenne ich auch Menschen, die aktiv in der Flüchtlingsarbeit sind, aber die Tatsache von zu vielen Flüchtlingen in ihrer Heimatstadt als unangenehm empfinden. Eins kann ich mit Sicherheit sagen: je weniger begütert bzw. abgesichert die Menschen sind, desto skeptischer sind sie der Flüchtlingspolitik gegenüber. Das ist natürlich: Sie sehen in ihnen Konkurrenten um einfache Arbeitsplätze und billige Wohnungen und erleben in ihrer städtischen Umgebung eine weit geringere Sicherheit als vor dem Flüchtlingsstrom. Die weit geöffneten Arme von Bischöfen jeglicher Couleur, die sich sicher sein können, dass kein Flüchtling ihnen ihr Bischofsamt streitig machen kann und dass ihre Beamtenpension um keinen Euro geschmälert wird, kann man als Hohn gegenüber diesen „kleinen Leuten“ interpretieren. Überzeugend würden Bischöfe, Politiker, Medienmacher, Theater- und Filmleute, die ihr großes Herz für die Flüchtlinge zur Schau stellen nur dann, wenn sie für jeden nachvollziehbar einen großen Teil ihres Einkommens für die Flüchtlinge zur Verfügung stellen, und zwar nicht als beliebige Spende, sondern als einen für sie dauerhaft nicht mehr zur Verfügung stehenden Teil ihres vormaligen Wohlstandes.

Welche Parteien sind es, die sich am vehementesten für die Flüchtlinge einsetzen? Es sind die Parteien der „kleinen Leute“, die PDS, die angeblich eine Partei der Arbeiterklasse ist und die Grünen, die sich auch die soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ähnlich steht es mit der SPD, die auch angeblich für die „kleinen Leute“ da sein will. (Dass die CDU nicht etwa hinter der Flüchtlingspolitik, sondern hinter ihrer Führerin Angela Merkel steht und allen undurchschaubaren Wendungen ihrer Politik folgt, ist eine politische Kuriosität, die sicher ihre Ursachen ehemaligen DDR hat, dem Ort wo sie ihren Arbeitsstil erwarb). Da die Parteien sich über die Interessen der „kleinen Leute“ so vehement hinweg setzten und diese politisch keine Wahl haben, ist der große Zustrom für die AfD gut nachvollziehbar. Die etablierten Parteien – anstatt dass sie sich die Frage stellen: Wie können wir die Interessen der „kleinen Leute“ besser wahrnehmen, stigmatisieren sie die Wähler der AfD, also in erster Linie die „kleinen Leute“.

Im Luftreich des Traums

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