Sonntag, 19. April 2015

Über eine Tragödie

Am Freitag, den 17. April 2015 fand im Kölner Dom die Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugunglücks in den französischen Alpen statt. Fast jeder Mensch in Deutschland hat die verschiedenen Stufen der Wahrnehmung dieses Unglücks miterlebt - von der Nachricht über den Absturz, die starke Vermutung bis hin zur Gewissheit, dass der Co-Pilot den Unfall herbei geführt hat, Nachrichten über eine psychische Erkrankung des jungen Mannes und so weiter. Berührt hat es die Menschen sehr, wahrscheinlich weil die meisten irgendwann mit dem Flugzeug fliegen, und weil die Umstände so ungewöhnlich waren, und natürlich aus dem Grund, weil die Berichterstattung derartigen medialen Raum bekam. Gestern Abend hörte ich im Bekanntenkreis, dass die Tatsache von 150 (und nicht etwa 149) Kerzen bei der Trauerfeier Nachdenken hervorrief, die Meinungen dazu hielten sich in der Waage.

Aber ich dachte über anderes nach und schreibe es, auch auf die Gefahr hin, dass ich Empörung hervorrufe. Es ist die Frage, warum die Trauerfeier zu einem Staatsakt mit den höchsten Repräsentanten des Staates ausgeweitet wurde. Nicht dass ich den Hinterbliebenen diese Würdigung nicht zugestehen möchte - meinetwegen könnte jeder Einzelne, der ums Leben kam, mit einem Staatsakt geehrt werden. Aber es ist seltsam, warum gerade dieses Ereignis und viele andere nicht mit großer Zielsicherheit in höchste Hände genommen wurde. Der Flug von Barcelona nach Düsseldorf hatte bei wahrscheinlich niemanden der Passagiere staatstragende Bedeutung. Die Menschen kamen nicht bei der Ausübung einer dem Allgemeinwohl geltenden Tätigkeit ums Leben. War es die Tatsache, dass einfach viele Menschen auf einmal ums Leben kamen? Aber warum gab es bei verschiedenen Terroranschlägen, bei denen auch mehrere Deutsche ums Leben kamen, keinen Staatsakt? Die Opfer des 11. Septembers und die Opfer des Brandanschlags auf die Synagoge von Djerba wurden fast ein wenig unwillig hingenommen. Und weiter: Germanwings ist nicht etwa eine staatliche Fluggesellschaft. Allgemein schamhaft verschwiegen wurde, dass sie eine Billigfluggesellschaft ist, von denen allen bekannt ist, dass es Einsparungen an allen Ecken und Enden gibt (als des Fliegens selten gewohnter Mensch konnte ich es kaum fassen, dass nur zwei Menschen für einen Flug direkt zuständig sind, unter einer "Crew" hatte ich mir anderes vorgestellt). In den zu Herzen gehenden und von Fassungslosigkeit geprägten Reden hätte ich gern ein paar Worte über das (spott)billige Fliegen gehört, das offensichtlich unter keinen Umständen in Frage gestellt werden darf.

So kann ich mir eigentlich nur vorstellen, dass das Spektakuläre dieses Unglücks die Menschen magisch anzog, und die "Regierenden" wollten sich nicht die Gelegenheit zu einem öffentlichen Auftritt in "tiefer Bewegtheit" nehmen lassen. Nach dieser Logik müsste nun jedes Opfer eines Geisterfahrers, zumindest wenn die Geisterfahrt mit selbstmörderischer Absicht ausgeübt wurde, mit einem Staatsakt bedacht werden, denn die Menge der Toten kann den Staatsakt letztlich auch nicht begründen, weil im Tod bekanntlich jeder allein ist und ein einsamer Tod ist letztlich nicht weniger erschütternd als ein gemeinschaftlich erlittener.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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