Freitag, 14. März 2014

Die 10 Gebote

Immer wieder kann ich es nicht lassen und gehe zu Veranstaltungen und Vorträgen, bei denen mich der Inhalt weniger interessiert, als das was der Vortragende daraus macht. So besuchte ich einen Vortrag über die 10 Gebote, der in einem kirchlichen Kulturzentrum gehalten wurde. Ich versuche möglichst derartige Vorträge so wahrzunehmen, als wüsste ich nichts von der Materie und hörte das Thema zum ersten Mal.

Es war ein Pfarrerehepaar, das die Veranstaltung vorbereitet hatte. Etwa 40 Zuhörer waren erschienen - eine ansehnliche Zahl für eine kleine Stadt. Zuerst wurden das geschichtliche Umfeld der altisraelischen Wüstenwanderung geschildert - Moses auf dem Berg Sinai, der Tanz um das Goldene Kalb, das Zerbrechen und der erneute Empfang der Gesetzestafeln. Dann wurden in aller Kürze die auch heute noch weitgehend bekannten Gebote vorgestellt. Der Dekalog als Richtschnur des menschlichen Lebens, aber auch als Wegweiser zur Freiheit und zur eigenen Urteilskraft. Danach wurde die Sache etwas komplizierter. In Gruppen sollten die Zuhörer ein Dilemma besprechen, das im Schicksal eines Mannes bestand, der aus Liebe zu seiner krebskranken Frau in eine Apotheke einbricht, weil er das hoch wirksame, aber gerade erst entwickelte und deshalb unmenschlich teure Krebsmedikament nicht bezahlen kann und auch nicht auf Kredit vom Apotheker bekommt. Das Mitgefühl für den armen Einbrecher war groß, und ihm wurde bescheinigt, dass er aus Liebe gehandelt habe. Ganz geklärt wurde die Sache nicht, die Geschichte lief auf die Feststellung zu, dass Liebe das Höchste sei, und dass Liebe über den Geboten stehe und diese auch außer Kraft setzen könne. Als dann auch noch der Apostel Paulus mit seinen Lobpreis der Liebe zitiert wurde, verklärten sich viele Augen, und die Versammlung war eigentlich damit zur allgemeinen Zufriedenheit geschlossen.

Wenn alle einer Meinung sind, reizt es einige, die Leute ein wenig in Verwirrung zu bringen, und so meldete sich eine Frau und sagte, es würde sie ganz und gar nicht zufrieden stellen. Die Gebote seien doch wenigstens etwas Konkretes, denn die könne man einhalten oder auch nicht bzw. sich mit ihnen auseinandersetzen. Die Liebe sei als Begriff etwas Schwammiges, in jede Richtung hin Auslegbares, und man könne damit die größten Verbrechen rechtfertigen. Das wäre dann eben keine Liebe, wurde geantwortet, denn wenn man liebe, dann wisse man automatisch was das Richtige sei. In Sachen Liebe könne man nichts Falsches tun. Die Kritikerin bekam es gerade noch fertig zu erklären, dass man dann den größten Teil der Weltliteratur einstampfen müsse, aber wie es immer ist, wenn es spannend wird - der Abend wurde beendet, und die Frau, welche die Liebe als Richtschnur des Lebens in Frage stellte, verstummte, wohl um die Liebesfähigkeit der Gemeinde nicht allzu sehr auf die Probe zu stellen.

Später dachte ich darüber nach, wie es möglich ist, dass eine ganze Religionsgemeinschaft sich die Liebe zu ihrem am höchsten verehrungswürdigen Gut erkoren hat. Gleichzeitig wird diese Liebe in eine mit Beamten bestückte Institution gepresst mit Pfarrerdienstgesetz, unzähligen Paragraphen, Beamtenbesoldung und Pensionsregelungen. Das scheint mir der Liebe ähnlich zuträglich, wie der Befehl: Sei spontan! (des von mir verehrten Paul Watzlawick). Aber die Liebe ist in jede Richtung auslegbar, und so wird wohl ein jeder seine Art finden, wie er die Liebe mit dem Beamtensold unter einen Hut bringen kann.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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