Samstag, 8. Juni 2013

Kinder auf die Kanzel!

(Fortsetzung vom 2.6.)

Die Predigt des jungen Felix

Felix spricht in seiner Predigt darüber, in welch schlechten Zustand die Erwachsenen die Welt gebracht haben. Er legt dar, dass er eine Lösung für die Missstände der Welt ausgedacht habe, nämlich das Pflanzen von Bäumen. Er erzählt, dass er eine weltweit vernetzte Kinderorganisation aufgebaut hat, die inzwischen schon viele Millionen Bäume pflanzte . Was er strikt vermeidet, ist jegliches Erklären, wie seine Projekte konkret verwirklicht werden. Ich stellte mir vor, dass 150 Bäume, die jeder einzelne Mensch auf der Welt pflanzen soll, damit die Welt gerettet würde, eine ganz schöne Fläche brauchen. Wer stellt die Fläche zur Verfügung? Oder werden einfach im nächst besten Wald Bäume gepflanzt, da wo der Förster es sowieso vor hat? Was sagen die "Spekulanten", die für Felix die Verkörperung des Bösen sind, dazu, wenn auf Flächen, die z. B. für nachwachsende Rohstoffe vorbehalten sind, nun auf einmal ein Wäldchen wächst? Auch fragte ich mich, warum in meiner näheren Umgebung noch keine Kinder einen Wald gepflanzt haben - jedenfalls habe ich nichts davon gemerkt -, obwohl nach Felixens Vorstellung die Kunde vom Pflanzen der Bäume sich wie ein Lauffeuer um die ganze Erde nach dem Prinzip der Potenzrechnung verbreitet hat: Jeder überzeugt zwei Menschen, diese wiederum zwei andere, und in 32 Monaten sind schon mehr Menschen, als die Erde überhaupt hat, vom Baumpflanzen überzeugt. Das erinnerte mich an die Briefe, die ich als Kind oft bekam. Man sollte an fünf Freunde den Brief weiterleiten, und dem letzten auf der Liste eine Ansichtskarte schicken, und in Kürze hätte ich dann 125 (?) Ansichtskarten. Ich habe sogar einmal eine einzige Ansichtskarte bekommen. In dem Zusammenhang fiel ein bezeichnender Satz, der Felix Denkweise und leider auch diejenige vieler Menschen mit einer simplen Weltanschauung kennzeichnet: Es würde nur 32 Monate dauern, bis 8 Milliarden Menschen überzeugt sind und alle das Gleiche denken.

Felix Idee vom Pflanzen der Bäume fand ich nicht das Bedenkliche an der Kanzelrede. Sondern seine Einteilung der Welt in Gut und Böse und die Forderung nach einem einheitlich-totalitärem Denken. Felix weiß was gut und böse ist, und deshalb sollen wir alle Felix nachfolgen. Da frage ich mich, was Felix mit denen machen würde, die sich weigern, so wie er und die angedachten 8 Milliarden Menschen zu denken.

Er spricht von Kindern, die sich ständig Fragen stellen, warum die Erwachsenen versagen und von Erwachsenen, die "nichts" tun. "Wir Kinder und Jugendliche fragen uns .....", sagt er oft. Es gibt schlimme Banker, für die man sich schämen müsse, Spekulanten, die keine Existenzberechtigung hätten, der "Markt", der es nicht schafft, die Armen aus der Armut zu holen. Die besonderen Feinde wären die "Lobbyisten", was immer man sich darunter vorstellen mag. Dass Felix selbst ein Lobbyist für das Bäumepflanzen ist, schien ihm nicht bewusst zu sein.

Er weiß genau, dass die Märkte nichts taugen, ja er möchte sogar das gesamte "System" verändern. Er weiß noch nicht, ob durch Evolution oder etwa durch Revolution. Als Beispiel, wie durch Ansammlung vieler Einzelner ein neues "System" entstehen kann, führt er ausgerechnet diese Linie auf: Papst Johannes Paul ermutigte - Lech Walesa gründete Solidarnosc - und dann rief Joachim Gauck mit seinen Freunden "Wir sind das Volk!", und schon fiel die Mauer (dass Joachim Gauck auf den fahrenden Zug der "Revolution" sprang und nicht etwa die Losung ´Wir sind das Volk` ausgedacht hat, sei nur am Rande bemerkt). Aber dass nicht Parolen und Kerzen das "System" zu Fall gebracht haben, sondern dass dieses so marode war, dass es in sich zusammen fiel, mag Felix, der gut nachplappern kann, nicht bekannt gewesen sein. Was beim Fall der Mauer eine besonders große Rolle spielte, war übrigens die übermächtige Verlockung der ungeliebten Märkte.

Warum widme ich ausgerechnet dem jungen Felix zwei Beiträge? Weil ich mich in diesem Blog im weiteren Sinne mit der Ideologie befasse. Sie war unser "täglich Brot" in der DDR. Wer sie selbst nicht verinnerlichen wollte, der musste zumindest verinnerlichen, was Ideologie ist und was sie bewirkt. Und dazu gehört auch Indoktrinierung, die ich dem guten Felix unterstellen muss. Dazu gehört auch eine platte Weltsicht, die für komplexe Probleme einfache Lösungen parat hält. Nicht umsonst dachte ich spontan als ich das Bürschchen auf der Kanzel sah: Der sieht wie ein junger Pionier aus, gut geschult im öffentlichen Verkünden von Parolen.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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