Dienstag, 7. Mai 2013

Und noch einmal Günter Grass

Nicht weil es mich dazu drängt, sondern weil am Sonntag (dem 5. Mai) im Sender Phoenix anschließend an den Presseclub ein einstündiges Interview mit ihm gesendet wurde. Zum ersten Mal bekam ich nun Gelegenheit, GG zuzuhören, wie er über sein Gedicht und seine Meinung zu Israel spricht.

Es ist interessant zu erleben, welche Sprachregelung ein Mensch, der die Nazizeit bewusst und aktiv erlebte, in der Waffen-SS diente und dann zu einem wortgewaltigen Schriftsteller wurde, für den Holocaust findet. "Die von den Deutschen zu verantwortenden Verbrechen", nannte er es. Er informierte die Zuschauer also, dass die von den Deutschen zu verantwortenden Verbrechen eine starke Auswanderung von Juden nach Palästina verursacht haben, was zu Vertreibung und Beraubung der Araber führte. Großes Leid und Unglück sei über die Araber gekommen. Sie seien zu Bürgern zweiter Klasse geworden, was dem Gründungsakt Israels widerspreche. Das müsse man kritisieren, denn damit helfe man Israel. Und er stehe zu Israel, betonte Grass.

Es fielen mir zwei verschiedene ältere Leute ein, die ich in Israel kennen gelernt hatte. Im Gegensatz zu mehreren ihrer Familienangehörigen waren sie als Jugendliche nach Palästina emigriert. Ob Grass die Tatsache der Emigration als ein von Deutschen zu verantwortendes Verbrechen ansieht, sei dahin gestellt. Eher sieht er es aber wohl als ein von Juden an Palästinensern zu verantwortendes Verbrechen an. Bei meinen beiden Bekannten sah ich mir Fotoalben an, die ihre Zeit in Israel dokumentierten. Ich war erstaunt. In den 40-er und 50-er Jahren war das Land, wo ich jetzt üppig blühende Kibbuze erlebte, bestanden von großen Schatten spendenden Bäumen, eine einzige baumlose Wüstenlandschaft gewesen. Das soll ein Verbrechen sein, Land zu kaufen, es unter großen Mühen urbar zu machen, vielen Menschen, selbstverständlich auch Arabern Arbeit zu geben? Ob dieser ältere Jude, der inzwischen immerhin zum Ehrenbürger seiner norddeutschen Geburtsstadt ernannt wurde, jemand ist, der Araber vertrieben hat? Ob es seine Kinder und Enkelkinder sind?

Geht GG etwa von der in seinem Kopf geisternden Unterstellung aus, dass Juden in ein blühendes Land Palästina eingefallen sind, Zerstörung anrichteten, viele "Ureinwohner" vertrieben haben und den Rest jener auf ihrer Scholle Sitzenden zu ihren Sklaven machten? So wie Deutsche es einst in den von ihnen eroberten Gebieten taten.

Interessant wurde es weiterhin, als die Rede auf Europa kam. Und siehe da, ich traute meinen Ohren kaum: Nach Europa werden noch viel mehr Menschen aus aller Welt einwandern, sagte Meister Grass, und das sei gut so. Was für eine Bereicherung erfahren wir durch sie! Ebenso eine Bereicherung, wie dazumal als die Hugenotten, nach Deutschland einwanderten und einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirkten.

Über welchen doppelten Maßstab verfügt GG eigentlich? Einwanderung ist grundsätzlich gut, so lange es nicht Juden sind, die da kommen. Einwanderer nach Europa bedeuten Bereicherung und Aufschwung. Jüdische Einwanderer nach Palästina – und was für eine gewaltige Aufbauleistung sie dort vollbracht haben, kann jeder, der es will (ausgenommen allerdings GG), sehen - bedeuten Unglück und Zerstörung. Das doppelte Maß, wonach man Juden so beurteilt (und verurteilt) als seien sie etwas ganz anderes als andere Menschen, ist übrigens ein Zeichen des Antisemitismus.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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