Sonntag, 24. Februar 2013

Ein Abend mit Tuvia Tenenbom

Nach meinem Eintrag vom 1.1.2013 über Tuvia Tenenbom. hatte ich Gelegenheit, den Schriftsteller persönlich kennen zu lernen. Aus der "Bloggergemeinde" kam ein Hinweis, dass T.T. in Berlin im jüdischen Gemeindehaus eine Buchvorstellung geben wird. In Berlin angekommen, stellte ich fest, dass am Abend zuvor schon eine Veranstaltung mit T.T. in Berlin stattgefunden hatte und dachte, in einer nichtjüdischen Umgebung wäre es vielleicht spannender und kontroverser zugegangen.

Im großen Saal des jüdischen Gemeindehauses waren nach und nach etwa 80 Personen zusammen gekommen. Auf dem Podium nahmen Platz: Tuvia Tenenbom, dazu zwei junge Leute, die als Lesende und Übersetzer fungierten und der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, der als Conferencier wirkte. Die jungen Leute lasen das Kapitel 7, in dem T.T. verschiedene religiöse Gemeinschaften, einschließlich der jüdischen, besucht. Wie der Chefredakteur erzählte, wäre es eines der wenigen Kapitel, bei dem sich noch keine Anwälte gemeldet hätten.

Anschließend gab es eine Diskussion. T.T. wurde gefragt, wieso er gerade auf das Thema Antisemitismus in D. gekommen wäre. Er beteuerte, dass das überhaupt nicht seine Absicht gewesen wäre, im Gegenteil, als er noch wenig von Deutschland wusste, wäre er derjenige gewesen, der in New York die Deutschen gegen solche Anschuldigungen verteidigt hätte. Nachdem er sich dann aber lange in D. aufgehalten hat und bei allen möglichen Gelegenheiten mit Deutschen sprach, muss er sagen: die Deutschen sind besessen von dem Gedanken an Juden und den Holocaust. Seine Erlebnisse wären zufällig gewesen, nicht mit Absicht herbei geführt, aber es dauerte nie lange, bis von den verschiedensten Menschen etwas in dieser Hinsicht geäußert wurde, meistens Absurdes. So traf er im KZ Buchenwald auf den Direktor der Gedenkstätte, der ein T-Shirt von einer Jerusalemer Bar an hatte, die die Auswanderung der israelischen Juden nach Uganda propagierte. Der Leiter für Gedenkstättenpädagogik war einst bei einem Hilfseinsatz in einem arabischen Krankenhaus nach Nablus geraten um sich über die Situation der Palästinenser zu informieren. Prompt wurde ihm dort eine Bombe unters Auto gelegt, bei deren Explosion sein Bruder starb und er ein Auge verlor. Trotzdem demonstriert er für die Rechte der Palästinenser und betreibt zugleich Gedenkstättenpädagogik über den Holocaust.

Während T.T. ins Plaudern geriet, änderte sich die Stimmung im Saal. Ein Tuscheln und Murmeln war zu hören, das in den Satz mündete: "Was reden Sie hier für Blödsinn?" Ein Ehepaar verließ aufgebracht den Saal, kam aber später zurück. Wie sich herausstellte, war der wütende Herr ein verdientes Mitglied der jüdischen Gemeinde, und als er später wieder da war, konkretisierte er seinen Unmut: T.T. würde die gute Zusammenarbeit, die in Jahren mit den Gedenkstätten aufgebaut wurde, torpedieren. Er kenne nicht viele Orte, wo so viel für die Geschichte getan wird. Und der Herr Tenenbom wäre einfach nur stolz und oberflächlich. T.T. ließ sich nicht beirren und meinte, für ihn wäre Deutschland ein Land mit vielen Masken, und der Gedenkstättenleiter hätte keine Scham. Daraufhin verließ wieder jemand den Saal.

Ein junger Mann stellte die Frage, die auch mich interessierte: Wie konnte T.T. als englisch sprachiger Mensch so viele intensive und sprachlich subtile Gespräche mit Deutschen führen. T.T. antwortete, dass viele Gespräche auf Englisch stattfanden und dass oft auch seine Frau als Dolmetscherin fungiert hätte.

Später trat eine Frau vors Mikrofon, die T.T. dankte und sagte, sie wäre auch der Meinung, dass der Antisemitismus hier verbreitet wäre, aber sie könnten ja nicht in ihre eigene Suppe spucken, doch sie findet es toll, dass T.T. gespuckt hätte. Das gefiel wieder einer anderen Frau nicht, denn es gäbe auch gute Deutsche und der erboste Herr F. würde es gut meinen, weil es ihm um die gute Zusammenarbeit mit den Gedenkstätten gehe. Aus den verschiedenen Ausführungen konnte man sich ein gute Vorstellung über die jüdischen Gemeinden in Deutschland, über ihre Animositäten und Zwänge machen.

Der Abschluss war versöhnlich: Ein junger Mann lobte das Buch sehr und unterstrich besonders die Wärme zu den Menschen, die man trotz aller Schwierigkeiten mit ihnen, spürt und bewunderte T.T., wie er es geschafft hatte, so ein akkurates Bild hinzubekommen.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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