Samstag, 1. September 2012

Das Sonnenblumenhaus,

in Rostock Lichtenhagen: Daran fahre ich mehrmals im Jahr vorbei. Jedes mal kommt mir der Gedanke: "Ach, hier ist es ja. Wie harmlos und alltäglich sieht es nun wieder aus". Es wurde für einige Tage vom Hauch der Geschichte, wenn auch nicht erhabener Geschichte gestreift. Warum wohl ausgerechnet der zwanzigste Jahrestag der "Lichtenhagen-Pogrome" so feierlich "begangen" wurde? Worauf sollten die Leute aufmerksam gemacht werden? Vielleicht sollte die Aufmerksamkeit der Leute darauf gelenkt werden, wie Neonazis aussehen. Die sehen so aus wie diejenigen, die damals Steine und Brandsätze warfen. Oder wie die, die heutzutage in martialischer Aufmachung Märsche durch Städte veranstalten.

Die Zeremonie in Lichtenhagen kann keinesfalls "von unten" gekommen sein. Dazu war das Programm zu perfekt gestaltet. Als ich die tribünenartige Ansammlung der "Ehrengäste" sah, schoss mir spontan der Gedanke durch den Kopf: "Genauso war es in der DDR." Damals waren Ehrengäste und das gemeine Volk auch immer hermetisch voneinander getrennt. Da stellte sich auch ein gutwilliges Volk für allerhand Aktionen zur Verfügung, und allesamt wurde beteuert, vom gleichen Anliegen beseelt zu sein, nämlich von dem, das die von der Tribüne vorgegeben hatten. "Ich nehme teil, damit so etwas nie wieder passiert!" oder "Wir wollen ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus setzen.", so hörte man im Fernsehen. Ich möchte keinesfalls den guten Willen derjenigen, die an der Friedenssternfahrt oder an der Aktion "Bunt statt Braun" teilnahmen, in Frage stellen. In Frage stellen möchte ich die Lauterkeit der Anliegen derjenigen, die in der abgeriegelten Ehrengalerie saßen.

Oft frage ich mich, ob die starke mediale und politische Verurteilung der in der Tat sehr unangenehmen Neonazis nicht auch eine Abwendung, wenn nicht Vertuschung anderer Vorkommnisse, die von ähnlichem Geiste sind, einschließt. Um es deutlicher zu sagen: Ein Geist, der Menschen oder Gruppen von Menschen auf Grund ihres Daseins erniedrigt und diskriminiert und andere Maßstäbe an sie anlegt als an alle anderen. Es mag Zufall sein, aber ein Zufall, der zu meiner Skepsis gegenüber denen "auf der Tribüne" beiträgt. Gerade in diesem Sommer verhinderte die Rostocker Universität, dass in ihren Räumen eine Veranstaltung zu dem Thema: "Wie steht es um die Israel-Solidarität?" stattfinden konnte. Die Hochschulgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wollte diese Veranstaltung zum Abschluss des Sommersemesters durchführen. Nach langem Nachfragen über den Grund dafür bekamen die Studenten eine Antwort: Die Hochschule möchte nicht, dass in ihren Räumen eine Veranstaltung stattfindet (wohlgemerkt eine Veranstaltung einer universitären Gruppe), bei der es eventuell zu Tumulten kommen könnte oder wo verfassungsfeindliche Äußerungen getätigt werden könnten. Der Verfassungsschutz, der zwar keine Anzeichen vorweisen konnte, hätte vorsorglich gewarnt, dass es bei einer Veranstaltung jener Art nicht ausgeschlossen wäre, dass solcherlei Dinge geschähen. Ob man den Studenten, die Mitglieder der DIG sind, die verfassungsfeindlichen Äußerungen unterstellte, blieb im Dunklen.

Das muss man sich vorstellen: Eine Universität des Staates, den viele von denen "auf der Tribüne" repräsentieren, behindert Studenten bei der Ausübung ihrer studentischen Rechte, im vorauseilenden Gehorsam gegen diejenigen, denen Israel ein Dorn im Auge ist… Ein Land, mit dem, das kann niemand leugnen, die Rechten ein Problem haben. Das ist schon als das Gegenteil von Zivilcourage zu bezeichnen. Und Zivilcourage ist das, was sich "die auf der Tribüne" immer wieder von den Bewohnern ihres Landes wünschen.

Die von der Universität abgewiesene Veranstaltung hat dann doch in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung stattgefunden, und zwar in friedlicher Atmosphäre und ohne Tumulte.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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