Seismographische Terminologien
Wenn ich mir die Aussagen aus verschiedensten Diskussionen ins Gedächtnis rufe, so fallen mir einige Sätze ein, die ich besonders oft hörte: „Jeder redet immer nur davon, was wir den anderen angetan haben, aber niemand redet davon, was uns angetan wurde!“ Die seltsame Häufung von Ausschließlichkeiten, die dieser Satz beinhaltet, auch wenn er manchmal ein wenig anders formuliert wird, spricht für sich. Man kann ihn in verschiedenen Varianten hören, er ist Kernpunkt einiger „großer Debatten“. In letzter Zeit höre ich den Satz, der in den 70-ger Jahren nicht weniger oft zu vernehmen war als jetzt, manchmal in der Variante: „Nun wird es endlich Zeit, deutsches Leiden zu thematisieren, weil das jahrzehntelang ein Tabu war“. Ich unterstelle denjenigen, die so sprechen, dass sie es auch tatsächlich so meinen, trotzdem ist es ein Zeichen davon, dass sich in diese „Debatten“ Lüge einschleicht: Die große gesellschaftliche Lüge von jahrzehntelangen tabuisierten Leiden.
In der DDR der 50-er Jahre, wo ich aufwuchs, ware die Tabuisierung vieler Themen tatsächlich viel stärker als im Westen. Trotzdem war ich umgeben von Geschichten der Flucht und des Kriegs. In unserem Bücherregal gab es Bücher von Hans Lehndorff, Peter Bamm, später von Graf Krockow. Siegfried Lenz hat in seinem Buch „Heimatmuseum“ Krieg und Flucht anschaulich thematisiert. Irgendwann bekam ich die Heftchen der Heimatvertriebenen in die Hand aus den 60-ger, 70-ger, 80-ger Jahren und ich traute meinen Augen nicht, was man dort alles stand, was man angeblich nie schreiben „durfte“. In einem Heimatheft über den Kreis Trautenau aus dem Jahr 1988 war lediglich vermerkt: Die Juden seien in ähnlicher Weise wie im Reichsgebiet verfolgt worden. Die Okkupationszeit wurde nebulös beschrieben, hauptsächlich als Zeit des christlichen Widerstandes gegen „Nazis“, während der Vertreibung sehr viel Raum und detaillierte Beschreibung gewidmet wurde. Es ist eine große Lüge, wenn behauptet wird, dass man noch nie gewagt habe, in dieser Weise zu sprechen und dass Darstellungen von Flucht und Vertreibung ganz besondere Ausnahmen, sozusagen Mutproben gegen den gesellschaftlichen Konsens gewesen seien.
In einer Diskussion bei „Maischberger“ wurde es illustriert. Man sprach über das geplante Zentrum „Gegen Vertreibung“ und Frau Maischberger stellte eine Filmdokumentation aus den 50-ger Jahren in die Debatte, wo Konrad Adenauer auf einem Vertriebenentag genau das sagte „was man sich nie traute zu sagen“. Er sprach zu den Vertriebenen über die Zeit, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren werden. Dazu fand Harald Schmidt, der an dem Gespräch teilnahm die passende Erklärung: „Er sprach ja zu den Vertriebenen, das ist nicht ernst zu nehmen“.
Das würde bedeuten, dass man den Vertrieben sagen kann, was man will. Es würde allerdings auch bedeuten, dass ein Bundeskanzler Beliebiges sagen kann, je nachdem vor wem er gerade spricht. Harald Schmidt hat durchaus etwas Bemerkenswertes gesagt, denn die Verschiedenartigkeit dessen, in welchem Rahmen was und mit welcher Terminologie gesagt wird, wird in der Gesellschaft geradezu seismologisch praktiziert, und ich denke oft darüber nach, ob diese Fertigkeit – die tatsächlich vorhanden ist – bewusst oder nach einem blinden verinnerlichten Bild ausgeübt wird. Bei einer Diskussion im DLF hörte ich, wie Rupert Neudeck ohne Skrupel Israel ein „Gebilde“ nannte, das nun einmal nicht rückgängig gemacht werden könne und das darum auch ein Existenzrecht habe. Es ist mir nicht erinnerlich, in einer öffentlichen Rede eines Politikers die Bezeichnung Israels als ein Gebilde jeweils gehört zu haben. Man weiß eben genau, wo sich was zu sagen gehört.
In der DDR der 50-er Jahre, wo ich aufwuchs, ware die Tabuisierung vieler Themen tatsächlich viel stärker als im Westen. Trotzdem war ich umgeben von Geschichten der Flucht und des Kriegs. In unserem Bücherregal gab es Bücher von Hans Lehndorff, Peter Bamm, später von Graf Krockow. Siegfried Lenz hat in seinem Buch „Heimatmuseum“ Krieg und Flucht anschaulich thematisiert. Irgendwann bekam ich die Heftchen der Heimatvertriebenen in die Hand aus den 60-ger, 70-ger, 80-ger Jahren und ich traute meinen Augen nicht, was man dort alles stand, was man angeblich nie schreiben „durfte“. In einem Heimatheft über den Kreis Trautenau aus dem Jahr 1988 war lediglich vermerkt: Die Juden seien in ähnlicher Weise wie im Reichsgebiet verfolgt worden. Die Okkupationszeit wurde nebulös beschrieben, hauptsächlich als Zeit des christlichen Widerstandes gegen „Nazis“, während der Vertreibung sehr viel Raum und detaillierte Beschreibung gewidmet wurde. Es ist eine große Lüge, wenn behauptet wird, dass man noch nie gewagt habe, in dieser Weise zu sprechen und dass Darstellungen von Flucht und Vertreibung ganz besondere Ausnahmen, sozusagen Mutproben gegen den gesellschaftlichen Konsens gewesen seien.
In einer Diskussion bei „Maischberger“ wurde es illustriert. Man sprach über das geplante Zentrum „Gegen Vertreibung“ und Frau Maischberger stellte eine Filmdokumentation aus den 50-ger Jahren in die Debatte, wo Konrad Adenauer auf einem Vertriebenentag genau das sagte „was man sich nie traute zu sagen“. Er sprach zu den Vertriebenen über die Zeit, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren werden. Dazu fand Harald Schmidt, der an dem Gespräch teilnahm die passende Erklärung: „Er sprach ja zu den Vertriebenen, das ist nicht ernst zu nehmen“.
Das würde bedeuten, dass man den Vertrieben sagen kann, was man will. Es würde allerdings auch bedeuten, dass ein Bundeskanzler Beliebiges sagen kann, je nachdem vor wem er gerade spricht. Harald Schmidt hat durchaus etwas Bemerkenswertes gesagt, denn die Verschiedenartigkeit dessen, in welchem Rahmen was und mit welcher Terminologie gesagt wird, wird in der Gesellschaft geradezu seismologisch praktiziert, und ich denke oft darüber nach, ob diese Fertigkeit – die tatsächlich vorhanden ist – bewusst oder nach einem blinden verinnerlichten Bild ausgeübt wird. Bei einer Diskussion im DLF hörte ich, wie Rupert Neudeck ohne Skrupel Israel ein „Gebilde“ nannte, das nun einmal nicht rückgängig gemacht werden könne und das darum auch ein Existenzrecht habe. Es ist mir nicht erinnerlich, in einer öffentlichen Rede eines Politikers die Bezeichnung Israels als ein Gebilde jeweils gehört zu haben. Man weiß eben genau, wo sich was zu sagen gehört.
anne.c - 22. Mär, 22:02