Donnerstag, 8. März 2012

Frauentag

Es gibt Gelegenheiten, bei denen man sagen kann: "Die DDR lebt"! Nicht nur, wenn man die linken Genossen im Fernsehen sieht, bei denen man erlebt, wie Denkweise und Sprachduktus noch über Generationen vererbt werden.

Vielleicht der wichtigste Feiertag, der die DDR-Identität weiter erhält, ist der internationale Frauentag. Das vorgesetzte Wort ´international` entbehrt in diesem Zusammenhang nicht ziemlicher Komik, denn die letzte bzw. gar nicht vorhandene Eigenschaft der DDR war die Internationalität. Es mag Feministinnen befremden, dass ich den Frauentag für die DDR und ihre Nachkommen reklamiere, doch die Realität spricht für sich selbst.

In meiner gemischt-deutschen Arbeitsstelle erkenne ich am 8. März auf den ersten Blick, aus welchem Teil Deutschlands eine Frau stammt. Die freudig-erregten Gesichter gehören nach Osten. Die befremdet-gelangweilten nach Westen. Frauen älteren Jahrgangs aus dem Osten stehen zusammen und schwärmen davon, wie lustig es in der DDR am Frauentag gesen sei. Der Frauentag war ja eine sehr beschwingte, feucht-fröhliche Unterhaltungsfeier, harmlos und unpolitisch würde wohl fast jede Frau zu Protokoll geben. Gab es in der DDR harmlose, unpolitische Feiern? Da fallen mir die Witze von Radio Jerewan ein und man könnte sagten: "Im Prinzip ja, aber..."

Aus irgendeinem Grund hatten die betagten DDR-Führer im Jahr 1988 beschlossen, dass der Frauentag diesmal ernst genommen werde, d. h. jede Frau müsse erst einmal zur Demo gehen, bevor sie zum Feiern zugelassen werde (die Führer ahnten damals nicht, dass ihr Ende kurz bevor steht). Es wurde ein unglaubliches Theater schon in Vorbereitung auf diesen Tag veranstaltet. Ausgenommen einige Hausfrauen und kirchliche Mitarbeiterinnen oder Selbstädnige war die gesamte Frauenschaft über ihre Arbeitsstellen dem direkten Zugriff des Staates ausgesetzt. Denn der Parteisekretär herrschte nicht nur über die Frauen, die in der Partei (SED) waren, sondern da der Betriebsleiter in jedem Fall auch in der Partei war, konnten die Parteisekretäre mit Umweg über diesen auch über die "nicht organisierten" Frauen Macht ausüben. Nichts ahnend sagte ich - eine der wenigen nicht zu einem Betrieb gehörenden Frauen - an diesem Tag zu einer Freundin: "Na, wie ist es dir heute ergangen?" "Ach, hör bloß auf, ich wurde heute von meinem Chef fertig gemacht. Der hat so getobt, in meinem ganzen Leben wurde ich noch nie so beschimpft!". Als parteilose Frau wollte sie keinesfalls provozieren, sondern sie fühlte sich an dem Tag nicht wohl, und hatte gedacht: "...was soll ich zu dieser blöden Demo gehen?" Ich war erstaunt, denn ihr Chef war ein außerordentlich ruhiger und zurückhaltender Mensch, dem man einen solchen Ausbruch nicht zugetraut hätte. Die Erklärung ist einfach: Er stand selbst unter einem solchen Druck von seinem Parteisekretär, und dieser vielleicht ebenfalls. Im Nachhinein kann man sogar sagen: ´Immerhin! Der DDR war jeder einzelne Mensch, der nicht mitmachte, so wichtig, dass sie sich sehr intensiv um ihn kümmerte.´ Auch um die Frauen am Frauentag.

Zu diesem legendären Frauentag 1988 fällt mir noch eine Szene ein. Es war die Zeit, in der massenhaft Anträge auf Ausreise aus der DDR gestellt wurden. Das war ein Grund für die Wichtigkeit der Demonstrationen an jenem Tag, denn die Frauen sollten auf Schildern ihre Verbundenheit mit der DDR zum Ausdruck bringen. Eine Frau wollte den Wirbel, der um diesen Tag gemacht wurde nutzen, reihte sich in die Demo und hielt ein Schild hoch "Ich demonstriere für meine Ausreise aus der DDR!" Festgenommen wurde sie dann nicht von der Stasi, sondern von den Frauen, die mit ihr demonstrierten. Was wieder eine schlüssige Logik hatte, da diese ja "für" die DDR demonstrierten. Ausreisen durfte die Festgenommene dann erst, nachdem sie 1 1/2 Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Das war kurz vor dem Fall der Mauer.

Nun, bloß feucht-fröhlich und lustig waren die DDR-Frauentagsfeiern also offensichtlich nicht.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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