Donnerstag, 26. Januar 2012

Drei Brüder

Wieder kam von irgendwoher eine Statistik, die da angibt, wie viele Menschen in Deutschland antisemitisch sind. Allgemeines Entsetzen. Man sollte darüber nicht erschrecken, es wäre seltsam, wenn es nicht so wäre. Da muss man nur täglich Rundfunk, Fernsehen, Zeitung konsumieren. Nicht irgendwelche Blättchen, sondern die seriösen. Da wird schon eine Menge präsentiert.

Besser wäre es, eine Studie herauszubringen, was Antisemitismus ist, wie er in der Gesellschaft transportiert wird, aus welchen Komponenten er sich zusammensetzt. Überhaupt, wie er definiert wird. Oder umgekehrt wäre es vielleicht viel interessanter: Bei den Menschen, die sich als Antisemiten zu erkennen geben, versuchen zu ermitteln, welche ihre Beweggründe sind, aus welchen Quellen sie ihre Ansichten und ihr Wissen speisen, welchen psychologischen Hintergrund der Antisemitismus bei ihnen hat.

20 % sind eigentlich wenige. Ich glaube, in Wirklichkeit sind es mehr. Antisemitismus hat nämlich noch zwei Brüder: den Antijudaismus und den Antizionismus. Ich habe die Erfahrung gemacht: alle drei werden streng voneinander getrennt. Die Brüder behaupten, den großen Bruder nicht zu kennen, überhaupt nichts mit ihm zu tun zu haben. Ich denke, dass diese drei Brüder von einem Stamm sind, wie es nun mal bei Brüdern der Fall ist.

Gemeinsamkeiten haben sie viele. Das ist beispielsweise die übergroße Sensibilität sich selbst gegenüber auffällig. Die gleiche Grobheit, Verachtung bis hin zur Todesverwünschung, die sie gegen Juden, bzw. gegen die Religion der Juden oder gegen Juden in Israel haben, die verwandelt sich nach Innen in höchste Sensibilität. Wenn man einen der sich ähnelnden Brüder mit falschem Namen anredet, gerät er außer sich. Der Name Antisemitismus ist tabu. Darum ist auch die Prozentzahl 20 relativ niedrig, denn die meisten Menschen, die Juden nicht mögen, verwenden andere Namen für ihr Unbehagen. Mir kommt es so vor, als hätte der Bruder Antisemitismus einen geheimnisvollen, vom Unheil umwehten Ruf. Seine Brüder bewundern ihn, wollen aber nicht so gern in der Öffentlichkeit mit ihm gesehen werden. Der bewunderte Bruder bekommt nämlich immer einmal von diesem oder jenem Menschen einen kräftigen Schlag. Mit der Antisemitismuskeule. Obwohl sie den Bruder sehr bewundern, mit welchem Stoizismus er die Schläge hinnimmt - er scheint darunter auch nicht allzu sehr zu leiden -, schadet es ihrem Ruf, wenn ihr Aussehen allzu sehr von der Keule zerzaust wäre. Es wäre ihnen peinlich. Darum sind sie immer auf der Lauer, ob auch nur eine Andeutung auf diesen verfemten Namen herauszuhören wäre. Sie haben ein perfekt nuanciertes Vokabular hinsichtlich der Kriterien, welcher Name wann und wo verwendet werden darf oder auch nicht. Wenn es nicht passt, schlagen sie mit der Antisemitismuskeule zurück. Die wird nämlich ebenso gern, wenn nicht noch lieber in die andere Richtung geschwungen.

Im Luftreich des Traums

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