Donnerstag, 5. Januar 2012

Die Vertriebenen

Es ist so viel von den Vertriebenen die Rede. Dabei gibt es so gut wie keine mehr. Es leben zwar noch Leute, die als Kinder und junge Leute vertrieben worden waren, aber sie haben fast nichts gemeinsam mehr mit den Vertriebenen meiner Kindheit. Manchmal höre ich noch Anklänge an einen Dialekt, und die alten Sudetendeutschen und Schlesier sind immer noch heraus zu erkennen. Aber das sind wirklich die ganz Alten.

In meiner Kindheit war ich von Vertriebenen umgeben, das ist mir erst heute richtig bewusst. Es ist mir auch erst als Erwachsene klar geworden, was für ein Reichtum in dem damaligen Leben unter den Vertriebenen lag. Die Dialekte, die verschiedenen Verhaltensweisen, die Erzählungen, die Namen der Orte, von denen sie redeten. Es war mir nicht im Geringsten bewusst, was es bedeutete, ein Vertriebener, ein Flüchtling zu sein. Aber ich habe sie wahrgenommen. Ich war umgeben von Reden über Krieg und Flucht. Von Vertreibung war übrigens nicht die Rede, ich hörte immer nur von Flucht. Und vom Krieg. Wenn Männer miteinander herumrum standen, sprachen sie über den Krieg und nannten verschiedene Orte und Dienstgrade. Was heute immer behauptet wird: Man habe nur geschwiegen, und man habe darüber nicht reden dürfen, das ist Erfindung und Lüge, um die Vergangenheit und deren Folgen in einem anderen Licht darstellen zu können.

Sicher verschwieg man auch in privatem Reden vieles. Nie habe ich eine Frau erzählten hören, dass sie vergewaltigt wurde. Womit ich als Kind wohl auch wenig hätte anfangen können. Auch die Legendenbildung begann damals schon: Man hbe ja nichts gewusst! Ein Ausdruck, den ich öfter hörte war: Die haben sie weggeholt... Dann ging es um Juden. Mehr sagte man dazu nicht, da herrschte schon das Tabu.

Aber dass die Leute nicht von ihrer Flucht geredet hätten: Das ist lächerlich. Nichts fand ich spannender als diese Geschichten. Für mich gab es erst einmal keinen Unterschied zwischen Einheimischen, Vertriebenen, Menschen die im Krieg waren oder nicht. Trotzdem habe ich mitbekommen, dass die Vertriebenen die interessanteren Menschen waren. Es sind diejenigen, die meine Kindheit emotional sehr bereichert haben. Was zwischen diesen Menschen und den Einheimischen vor sich gegangen war, davon hatte ich keine Ahnung und bekam davon auch nichts mit. Das offenbarte sich mir viel später, als ich dann über manches Fluchtschicksal bewusst hörte. Ich fand es immer den schlimmeren Teil der Fluchtgeschichte: Wie hartherzig diejenigen behandelt worden waren, die alles verloren hatten. Wie sie von den Landleuten, die im Krieg geschworen hatten, als „Volk und Schicksalsgemeinschaft“ zusammen zu halten, nun wie Aussätzige und Gesindel behandelt wurden.

Im Luftreich des Traums

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