Sonntag, 18. Dezember 2011

Monika

Mit Monika verbrachte ich drei Jahre auf engstem Raum, in einem sehr kleinen Internatszimmer, in dem wir zu viert untergebracht waren. Ich habe wohl erst im Internat begriffen, was die DDR bedeutet, wie die Menschen denken und wie sie sich verhalten. Mit Erstaunen erlebte ich Anfang der 70-ger Jahre, wie junge Menschen mit 18 Jahren gern und freiwillig in die Partei eintraten, wie sie nicht mal eine Ahnung davon zu haben schienen, dass man sich auch nur ein wenig anders verhalten kann, als es die Parteilinie vorgibt. Später ließen sie sich klaglos im Studium von „Seminargruppenleitern“ tyrannisieren, machten Wehrerziehungslager mit, zogen in Neubaublocks, gründeten früh eine Familie, in der es vorgezeichnet war, dass das Leben sich auf die gleiche, programmierte Weise wiederholt.

Nach mehr als 30 Jahren traf ich Monika wieder, nachdem sie meine Adresse herausgefunden hatte und mich mit unserer gemeinsamen Zimmergenossin Erika zusammen besuchte. Gleich am Anfang dieses Besuchs machten wir die erstaunliche Erfahrung, dass drei Jahre schulische Gemeinsamkeit in einem engen Zimmer trotz eines konträren Lebens uns so „zusammen geschweißt“ hatten, dass es keine Fremdheit zwischen uns gab. Wir erzählen und lachten zwei Tage lang, so wie früher und ich erfuhr interessante Details aus Lebensläufen, die ganz und gar der DDR-Norm entsprochen hatten und die dann durch die „Wende“ gehörig umgewälzt worden sind. Unter anderem erzählte Monika mir eine Begebenheit aus ihrem Leben, die in ihrer Nebensächlichkeit sehr bezeichnend war, wie der DDR-Staat mit seinen Menschen, also eigentlich mit sich selbst umging.

Monika hatte alles richtig gemacht, wie es sich für eine DDR-Bürgerin gehört. Sie kam aus einfachen Verhältnissen, trat mit 18 Jahren aus Überzeugung in die Partei ein, wurde Volkspolizistin auf dem Polizeiamt, wo sie die Anmeldungen der Westbesucher registrierte. Ihr Mann war Grenzbeamter, der sich über nichts mehr freute, als wenn er einem Westbesucher eine Zeitschrift oder ein Buch abnehmen konnte, wie er einmal berichtete, als ich in jungen Jahren das einzige mal bei ihnen zu Besuch war. Sie wohnen bis heute in einem Neubaublock in Berlin Lichtenberg. Ihre beiden Kinder durchliefen alle Stadien, die ein DDR-Kind zu durchlaufen hatte, von der Kinderkrippe, über die Pioniere zur FDJ mit allen dazugehörigen Ritualen. In ihrem Leben fehlte nichts was zu einer typischen DDR-Existenz gehörte: Hausgemeinschaft im Plattenbau, FDGB-Urlaubsreisen, Parteiversammlungen. Sie kannten nichts anderes und wollten nichts anderes. Doch selbst solche Menschen kamen in Situationen, wo sie sich am System „stießen“, nämlich wenn sie menschliche Eigenschaften über die Parteilinie stellten:

Monikas Tochter Cathleen war Leistungssportlerin und verbrachte den größten Teil ihrer Kindheit im Stadion. Sie wurde trainiert – ich würde sagen dressiert -, um an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Regelmäßig fuhr sie zu Spartakiaden. Cathleen hasste diese Spartakiaden, weil sie unter großer Angst litt, es könne ihr auf der Reise etwas zustoßen und sie käme nicht zu ihrer Mutter zurück. Vor jeder Reise zu einem Wettkampf spielte sich das gleiche Ritual zwischen Mutter und Tochter ab: Monika musste Cathleen hoch und heilig schwören, dass sie in dem Fall, dass etwas passiert, auf der Stelle zu ihr eilen würde, damit diese nicht irgendwo in der Fremde allein bleibt. Dieses Versprechen gab Monika in voller Überzeugung, denn es hätte sie wirklich nichts davon abhalten können, im Fall der Not ihrer Tochter zur Hilfe zu kommen. Eines Tages war es so weit, dass Cathleen ins „westliche Ausland“, nach Italien, zu einem Wettkampf geschickt wurde. Da zeigte sich, dass Monika nicht nur eine gute DDR-Bürgerin, sondern auch ein Mensch mit guten menschlichen Eigenschaften war und diese Eigenschaften waren: sie liebte ihre Kinder über alles und sie war ehrlich. Monika konnte nun ihr Versprechen nicht mehr ohne weiteres geben. Sie erkundigte sich bei verschiedenen Genossen, ob für den Notfall eine Reise nach Italien möglich wäre, erntete aber nur Unverständnis, Befremden und Hohn. Die Vorstellung, dass ein DDR-Bürger, der nicht Reisekader war, möge er auch noch so staatstreu sein, ins westliche Ausland fahren wolle, war in den Augen der Genossen absurd, auch wenn es eine ihrem Kind zur Hilfe eilende Mutter wäre. Ihr wurde gesagt, dass das Kind in der Betreuung des Trainers ja wohl gut aufgehoben sei. Monika verschwieg Cathleen ihr Unvermögen nicht. Sie war nicht in der Lage, Cathleen zu einer Reise nach Italien zu überreden, wie die Genossen es von ihr forderten. Cathleen verweigerte hartnäckig die Reise und Monika hielt tapfer zu ihrer Tochter und bestand nicht darauf, dass diese zum Wettkampf fährt. Das „aufrührerische“ Kind wurde nicht mehr lange trainiert und musste aus dem Lauftraining ausscheiden. Monika musste sich vor ihrer Parteigruppe rechtfertigen und entging knapp einer Parteirüge

Monika erzählte mir, dass sie durch diese Erfahrungen die ersten Zweifel an dem gesamten DDR-System bekommen hatte und dass sie danach nicht mehr so eine überzeugte DDR-Bürgerin war und dass sie nicht mal besonders traurig über das Ende der DDR sei, obwohl dadurch die vorgegebenen Lebensläufe ihrer Familie gehörig durcheinander gewirbelt wurden.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Noch ein Schreiben, diesmal...
12.07.2025 Infos am Morgen im DLF: „Immer wieder verzerrte,...
anne.c - 16. Jul, 17:16
Apartheit im Ökumenischen...
1 .Ein abgeschickter Brief an Bischof a.D. Bedfort-Strohm Herr...
anne.c - 8. Jul, 05:51
Reaktionen nach dem Angriff...
Dieser Beitrag wird ein wenig veraltet wirken, zu rasch...
anne.c - 1. Jul, 22:28
Presseclub
Vor der Fortsetzung der Reaktionen des Angriffs Israel...
anne.c - 24. Jun, 21:21
Reaktionen nach dem Angriff...
Die Reaktionen von offiziellen Medien und Bevölkerung...
anne.c - 21. Jun, 15:11
Nachtrag zu den Stolpersteinen
Vor Kurzem spazierte ich durch die kleine böhmische...
anne.c - 19. Jun, 23:09
Stolpersteine
Das sind diese kleinen quadratischen, messingfarbenen...
anne.c - 5. Jun, 21:28
Die Einschläge kommen...
Bis jetzt waren wir im Bekanntenkreis einigermaßen...
anne.c - 29. Mai, 14:39
Eine Zuschauermail
"Sehr geehrter Herr Prantl, als ich Sie heute bei...
anne.c - 22. Mai, 10:23
Gedenken: 80 Jahre seit...
In unserer Nachbarstadt fand eine große Veranstaltung...
anne.c - 16. Mai, 14:33

Links

Suche

 

Status

Online seit 5083 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 16. Jul, 17:18

Disclaimer

Entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.05.1998 gilt für alle Links und Kommentare auf diesem Blog: Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Seitenadressen und aller Kommentare, mache mir diese Inhalte nicht zu eigen und übernehme für sie keinerlei Haftung.

Impressum

Anne Cejp
Birkenstr. 13
18374 Zingst