Das sind diese kleinen quadratischen, messingfarbenen Würfel, mit einem Namen und Geburts- und Todesdatum versehen, die hier und da auf Bürgersteigen eingelassen sind. Sie erinnern an einen Menschen, der im dahinter liegenden Haus einst gelebt hat, und der von den Nationalsozialisten ermordet wurde. In größeren Städten sind sie häufiger zu entdecken als in kleineren, aber eigentlich sind sie verstreut über das ganze Land, und neuerdings hin und wieder im Ausland zu finden.
Die Meinungen über die Stolpersteine sind geteilt, manchmal führen sie auch zu erbitterten Kontroversen. So ist eine Frau die ich kenne, vehement dagegen. Es ist eine Frau, die ihr Leben sehr der Erinnerung an diese schlimme Zeit widmet, die mit den Nachkommen von Menschen, die hier sehr gelitten haben, innige Freundschaften geschlossen hat, die also sehr glaubwürdig ist. Aber sie sagt: „Ich kann es nicht ertragen, dass Passanten auf diesen Steinen und auf den Namen von Ermordeten herum trampeln“. Das kann ich gut verstehen.
Aber ich bin auch mit einer Frau befreundet, die in einem Verein ist, der diese Stolpersteine initiiert. Sie beschäftigt sich mit den Lebensläufen von ermordeten Menschen, sie nimmt Kontakt zu Nachkommen oder Verwandten auf, lädt sie zu der Verlegung des Steins ein, kümmert sich um die Pflege der Steine. Sie hat dadurch wunderbare Begegnungen, es ist für sie eine große emotionale Bereicherung. Ich bin beeindruckt, wenn sie von ihren Erlebnissen erzählt.
Wenn es um eine Kontroverse um Stolpersteine geht, muss man auch bedenken: jahrzehntelang sind die ermordeten Menschen tatsächlich in Vergessenheit geraten. Ja, man durfte nicht einmal das Wort ´Jude´ aussprechen (darum habe ich eine erbitterte Familiendiskussion erlebt). Das, was man heute ´Holocaust` oder `Shoah´ nennt, das nannte man früher verschämt: `Das mit den Juden`. Von ihren Namen war nicht einmal die Rede. So sind diese Stolpersteine doch ein sichtbares Zeichen dafür, an diese Menschen zu erinnern, ihres Schicksals zu gedenken.
Manchmal liest man den Satz: „Die Deutschen lieben die toten Juden, sie legen ihnen Stolpersteine, aber die lebenden Juden sind ihnen egal, oder sie verteufeln sie sogar“. Als gesellschaftliches Phänomen stimme ich der Aussage vollkommen zu. Wie sich die Gesellschaft (Politik, Medien, öffentliche Äußerungen) verhält, das ergibt ein sehr schlechtes Bild. Doch wie sich der Einzelne verhält, das ist noch mal etwas anderes. Ich messe jeden, insbesondere deutschen Menschen, daran, wie er zu den lebenden Juden und wie er zum Staat Israel steht. Aber: auch wenn es Vorbehalte gegen Stolpersteine gibt, auch wenn offizielle Vertreter nicht immer überzeugend bei der Verlegungsfeier reden, es ist der Versuch, Menschen einen Namen (zurück) zu geben, Passanten zu einem Moment des Überlegens zu bringen, die offiziellen Redner zu zwingen, sich mit der Vergangenheit zu befassen, und für die Initiatoren eine emotionale und erfüllende Aufgabe.
anne.c - 5. Jun, 21:24
Bis jetzt waren wir im Bekanntenkreis einigermaßen verschont von Diskussionen über den Gazakrieg, über Für und Wider, und von Beschuldigungen gegen Israel. Doch nun tauchte über What´s App eine Zuschrift einer Bekannten mit einem Klagelied über 14 000 palästinensische Kinder, die vom Hungertod bedroht wären, auf. ´So könne das nicht weiter gehen, jetzt müsse Deutschland endlich etwas unternehmen, auf jeden Fall keine Waffen mehr an Israel liefern´.
Mir schoss sofort die Aussage von Theodor W. Adorno durch den Kopf: „Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden“.
Das Gerücht von den 14 000 verhungernden Kindern, dessen Verbreitung, die Aufregung darüber, der Richtigstellung und Zurücknahme, ist bekannt. Es ist geradezu ein klassisches Beispiel für ein Gerücht, das sich in Windeseile verbreitet und das nach seiner Widerlegung weiter wabert, viel Schaden anrichtet, und sich in den Köpfen der Menschen festsetzt. Zumal dieser Fall von Kindermord handelt, ein Gerücht, das sich über Jahrhunderte als Stereotyp des Antisemitismus festgesetzt hat.
Meine Überlegungen gehen dahin: ist so etwas bewusst, oder hat es sich im Unterbewusstsein der betreffenden Menschen, die diese Gerüchte mit Eifer konsumieren, festgesetzt?
Benötigen Menschen oder Menschengruppen zu ihrer seelischen Gesundheit einen Sündenbock, dem sie alles Böse zuschieben können? Oft ist es konstruiertes Böse oder sogar Böses, das sie in sich selbst entdecken? Warum denkt die Frau, die uns die What´s App schickte, mitleidsvoll an 14 000 gazanische Kinder und nicht an hungernde afrikanische Kinder in den Bürgerkriegsländern? Warum wird in der medialen Berichterstattung so viel verschwiegen, was ein ganz anderes Bild der Lage ergeben könnte? Warum sind es oft „gebildete“ Menschen, die sich danach sehnen, „Böses“ von Juden bzw, Israel zu erfahren oder zu konstruieren, resistent gegen Argumente, aber geistig in der Lage, die Tatsachen so verdrehen, dass sie in ihr Weltbild passen?
Wir wiesen unsere WA-Schickerin darauf hin, dass sie auf ein „Fake New“ hineingefallen ist, und wir müssen ihr anerkennen, dass sie die Berichtigung angenommen hat und das nächste mal besser recherchieren will.
anne.c - 29. Mai, 14:36
"Sehr geehrter Herr Prantl,
als ich Sie heute bei Frau Miosga in Sachen Israel hörte, fiel mir ein Spruch von Hermann Gremlitza ein, dass die Deutschen für 100 Jahre ihre obsessive Befassung mit den jüdischen Angelegenheiten unterlassen sollten, egal ob ihnen die Juden und ihre Taten gefallen oder nicht.
Auch Sie sollten es beherzigen, so schwer es Ihnen auch fallen mag, sonst wird man Sie intellektuell kaum ernst nehmen können.
Mit freundlichen Grüßen"
Wie kam es zu diesem Schreiben? Am Sonntag Abend schauten wir die Talk-Sendung „Caren Miosga“, die zum Thema den russisch-ukrainischen Konflikt hatte. Anwesend waren Heribert Prantl (Journalist), Norbert Röttgen (Bundestag, auswärtiger Ausschuss) und andere Personen. Über den Krieg in der Ukraine wurde ausgiebig diskutiert. Norbert Röttgen war unbedingt dafür, hart gegen Putin zu sein und keine Kompromisse einzugehen. Heribert Prantl dagegen zeigte sich erstaunlicherweise recht konziliant und plädierte für Verhandlungen.
Dann hatte Frau Miosga noch die Idee, außerhalb des Themas ein kleines Gespräch über den Israel-Gaza Konflikt anzufügen. Ich sagte: „Da bin ich gespannt, ob Herr Prantl weiter konziliant ist“, denn aus anderen Sendungen kannte ich seine antiisraelische Obsession.
Die Rollen waren plötzlich ausgewechselt. Herr Röttgen war vorsichtig, er versuchte, nichts Böses über Israel zu sagen. Er meinte nur, dass man „im Stillen“ mit den Israeli sprechen müsse, dass diese sich anders verhalten sollten und sie auf eine bessere Richtung (?) hinweisen. Herr Prantl aber wäre am liebsten sofort in Israel einmarschiert. Zumindest müsse man laut und deutlich auf das Unrecht hinweisen, was da geschehe, die Weltöffentlichkeit müsse erkennen, wie sehr in Gaza gelitten wird. (was sie bis jetzt noch nicht weiß (?). „Netanjahu verhandelt nicht, er vernichtet!“ Auf die deutsch-israelischen Beziehungen angesprochen, meinte er: „deutliche Kritik an Israel ist Freundschaftspflicht“. Herr Röttgen stellte aber wenigstens klar, was eindeutig die Ursache für den Krieg gewesen ist.
Auch Frau Miosga war der Meinung, dass da „Unrecht begangen“ wird und dass es eine „Schande“ wäre, was da abläuft.
Was aber leider überhaupt nicht gesagt wurde war, was denn nun die „bessere Richtung“ wäre. Das kann man bei allen ähnlich gelagerten Diskussionen feststellen: Niemand kann eine Lösung aufweisen, niemand hat einen Rat, wie Israel anders handeln sollte. Nur Ratschläge, die bewirken, dass Israel sich selbst aufgeben würde. Niemand zählt die Tatsachen auf, die Israel in einem anderen Licht dastehen lassen. So das Tunnelsystem, die Indoktrination der Schulkinder, das Benutzen von Krankenhäusern und Schulen für Kriegszwecke, die fragwürdigen Todeszahlen, die „menschlichen Schutzschilde“, die Ermordung von Hamas-Kritikern aus eigenen Reihen. Das ist ja alles bekannt, und das Verschweigen dessen, wenn irgendwie argumentiert wird, muss einen Hintergrund haben. Vielleicht steckt in der Argumentation von Herrn Prantl und anderen doch eine Selbstentlastung und eine Reinwaschung der Vergangenheit.
anne.c - 22. Mai, 10:20
In unserer Nachbarstadt fand eine große Veranstaltung zum 80. Jahrestag des Kriegsendes statt. Es war ein fulminantes Zusammentreffen von Bürgern der Stadt und Nachkommen von ehemaligen Insassen von verschiedenen Kriegslagern, die dort existiert hatten. Das bedeutendste Lager war ein Stalag-Lager, in dem Kriegsgefangene der alliierten Luftwaffe gefangen gehalten wurden. Ein Glück für die Stadt, die aus diesem Grund von Bombardierung verschont worden war.
Dazu gab es ein berüchtigtes Außenlager des KZ Ravensbrück, weiterhin ein separates Lager für sowjetische Kriegsgefangene und verschiedene Unterkünfte für Zwangsarbeiterinnen. Vor gut 20 Jahren hatte schon einmal so ein Treffen stattgefunden, nachdem in den 90-ger Jahren eine sehr engagierte Archivarin viele Schicksale und die Geschichte der Lager recherchiert hatte und mit so vielen ehemaligen Häftlingen wie möglich in Kontakt getreten war. Ein entsprechender Verein stand ihr zur Seite. Damals dachte man, dass das Treffen eine Art Abschluss des Geschehens wäre, denn die Zeitzeugen werden in Zukunft schwieriger reisen können und zu alt werden. Aber nein – das Interesse ist genauso groß, denn die Kinder der Zeitzeugen bekunden ebenso großes Interesse wie ihre Väter und Mütter. Sie waren aus allen Teilen der Erde gekommen, bis hin aus Australien. Die Umgangssprachen waren englisch und manchmal deutsch, es gab Simultanübersetzerinnen, und man sah viele Leute mit kleinen Empfängern und Kopfhörern.
Es gab Kranzniederlegungen, Besichtigungstouren, Kulturprogramm. Am interessantesten war ein intensiver Erzähltag über die Schicksale in den Lagern. Die Nachkommen der Gefangenen wussten sehr gut über die Erlebnisse ihrer Eltern Bescheid und hielten Vorträge darüber. Die Eloquenz der Vortragenden war bewundernswert. Ein Sohn einer Frau, die den Todesmarsch aus dem KZ überlebt hatte, erzählte über die Zwangsarbeit seiner Mutter, den Todesmarsch und die Zustände im KZ. Ein farbiger Westafrikaner, dessen Vater unbedingt Flieger bei der französischen (?) Luftwaffe hatte sein wollen, es mit einigen Hindernissen auch geschafft hatte und später im Stalag Lager gelandet war, hielt einen Vortrag über das Leben seines Vaters. Das „Sahnestück“ der Erzählungen wie schon vor 20 Jahren war der Bericht eines Sohnes darüber, wie der einzige von vielen Tausend Gefangenen, ein Flieger mit dem Spitznamen „Dead shore“, es geschafft hatte, durch einen selbst gegrabenen Tunnel aus dem Lager zu fliehen und in Nächten bis zur Schwedenfähre marschierte (ca. 85 km) , mit der er als blinder Passagier nach Schweden gelangte (also mitten im Krieg verkehrten Fähren zwischen Deutschland und Schweden!)
Sehr berührend ist es auch immer wieder, wenn über die Erschütterung erzählt wird, die die Stalag-Soldaten empfanden, als sie nach ihrer eigenen Befreiung Streifzüge durch die Gegend machten und auf das fast verlassene KZ-Lager stießen und viele Schwerkranke und Tote dort auffanden, bei deren Bergung sie halfen.
Die Stadt hatte sich für dieses Treffen sehr großzügig erwiesen. Schüler aus dem Gymnasium erledigten alle möglichen Dienstleistungen. Es herrschte eine schöne Atmosphäre beim sich gegenseitig wahrnehmen, kennenlernen und austauschen. Die ausländischen Besucher waren sichtlich berührt. Ich sehe in solchen Veranstaltungen nicht etwa ein „Bewältigen“ der Vergangenheit, sondern eine Möglichkeit, Vergangenheit lebendig zu erhalten und Leiden und Erlebnisse der damals Lebenden zu würdigen.
anne.c - 16. Mai, 14:14
Wer in der DDR aufgewachsen ist, hat den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ kennengelernt. Im Westdeutschland mag dieser Tag einen anderen Namen gehabt haben. Vielleicht Tag des Kriegsendes, Tag der Kapitulation? Inzwischen ist dieser 8. Mai 1945 so lange her, dass die Feiern zu den runden Jahrestagen immer pompöser werden, aber auch, dass die Erinnerung nach dem jeweiligen Geschmack zelebriert wird.
So haben wir in der Schule gelernt: die Siegermächte, das waren USA, die Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien. Nun ist mit Erstaunen festzustellen, dass die Sowjetunion (die es ja auch nicht mehr gibt, aber das die größte Last getragen habende Land: Russland), das Land, das die meisten Kriegstoten in diesem von Deutschland angezettelten Krieg hatte, das Land, das unter der Bezeichnung „verbrannte Erde“ unglaublich verwüstet und niedergebrannt wurde, dass dieses Land nun nicht mehr zu den Siegermächten gezählt wird. Es hat auf der Gedenkfeier nichts zu suchen. Wegen des gerade stattfindenden Ukrainekriegs. Eine andere Tatsache ist, dass die Sowjetunion tatsächlich nicht nur als Befreier kam, sondern dass sie die „befreiten“ Länder über Jahrzehnte geknechtet und bevormundet hat.
Aber darum geht es nicht. Es geht um die unzähligen sowjetischen Menschen, die in dem Krieg ihr Leben lassen mussten. Und die nach Definition der Deutschen Untermenschen waren. Die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden wie Sklaven behandelt, ein großer Teil von ihnen starb an Hunger. In unserer Umgebung gab es Kriegsgefangenenlager sowohl der Allierten, als auch von russischen Soldaten. Letztere wurden zu schwersten und schmutzigsten Arbeiten herangezogen, Hunger war allgegenwärtig. Die Schicksale der alliierten Gefangenen konnte man später recht gut recherchieren, während die Spur aller russischer Gefangenen sich im Dunklen verliert. (was auch daran liegen mag, dass Stalin die zurückgekehrten Soldaten als „Vaterlandsverräter“ nach Sibirien deportieren ließ).
So schlimm der Ukrainekrieg ist, so schlimm in ihm gehandelt wird, aber dieses Gedenken gilt einem geschichtlichen Ereignis, dass vor 80 Jahren stattfand! Und da haben die Staaten der Sowjetunion einen ganz furchtbaren Blutzoll erbracht. Und diese vielen Toten haben Nachkommen, die sich genauso mit den Taten und dem Leid ihrer Vorfahren beschäftigen, wie es auch in anderen Ländern üblich ist. Sie bekommen von Deutschland die Botschaft übermittelt: ´Das war alles nichts`. Dass man Putin nicht einlädt, dafür habe ich Verständnis. Man hätte sich etwas einfallen lassen müssen, damit man den russischen Opfern gerecht wird. Und wären es Abordnungen von Nachkommen von im Krieg umgekommenen Russen.
Doch, dass Russland auf der Feier ausgesperrt wird, dass man damit der gesamten Bevölkerung Russlands ihr Nichtvorhandensein im Krieg bescheinigt. Das bedeutet ein Umschreiben dessen, was im Krieg geschah. Deutschland gesellt sich zu den Siegermächten, Russland wird ausgesperrt.
anne.c - 10. Mai, 11:24
1978 lief im Fernsehen der inzwischen berühmte Film „Holocaust“. Vor Kurzem kam, ebenfalls im Fernsehen, eine Reportage über diesen Film. Über die Erinnerungen von einigen inzwischen gealterten Darstellern aus dem Film, dem Produzenten, über Umstände seiner Entstehung und der Aufführung, von der Wirkung auf die deutsche Bevölkerung. Garniert mit verschiedenen Szenen aus dem Film. Nun habe ich den Film „Holocaust“ damals nicht gesehen – in der DDR wurde er nicht gezeigt -, aber die ausführliche Berichterstattung im Radio verfolgte ich. Ich war schon damals gespalten in meiner Einstellung zu dem Film, ebenso wie ich es heute bin.
Erst die Serie „Holocaust“ hätte einem großen Teil der Deutschen die Augen über diese schrecklichen Geschehnisse geöffnet. Wenn man sich den Verlauf der Geschichte vor Augen hält, ist das verständlich. Durch die Zerstörung der deutschen Städte, die Flucht und Vertreibung eines Teils der Bevölkerung, durch die Teilung des Landes hatte man genug mit sich selbst zu tun, als sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. (Insofern kann man den Niedergang Deutschlands als Glücksfall ansehen, denn hinter dem Niedergang verschwand alles bzw. wurde in die Versenkung verschoben). Dass es 33 Jahre dauerte, bis man wahrnahm, was man verbrochen hatte, wie man versucht hatte, ein ganzes Volk auszurotten und dazu die Länder zerstörte, in denen dieses Volk seit Jahrhunderten gelebt hatte, ist dann eher ein Armutszeugnis. Dazu die Tatsache, dass dieser Film aus weiter Ferne, aus den USA, kam. Vielleicht ist es trotzdem gut, dass die Serie gelaufen ist, angeblich hat sie sich ja die Hälfte der Bevölkerung angesehen und war erschüttert. Und daraus mögen gedeihliche Initiativen entstanden sein, menschlich Beziehungen, die dazu beitrugen, dass man sich mit den Juden und auch mit dem Land Israel befasste. Dass man ein Gefühl dafür bekam für die Schrecklichkeit des Geschehens. Nachdem ich nach über 40 Jahren durch die Doku etwas über die Entstehungsgeschichte erfuhr, über die Ergriffenheit der Protagonisten, über die Sorgfalt, mit der die Serie produziert wurde, hatte ich etwas mehr Verständnis dafür als am Anfang.
aber trotzdem……. Ein Spielfilm ist ein Spielfilm, der für die Zuschauer mehr Unterhaltung ist als Wissensvermittlung. Da ist so viel Grün zu sehen, zurechtgestylte Kleidung, auch wenn es Häftlingskleidung ist, sentimentale Szenen, denen man die Anweisungen des Regisseurs ansieht, Menschen, denen man ansieht, dass sie in Häftlingskleider gesteckte Schauspieler sind. So grausam manche Szenen sind, der Film trägt doch dazu bei, den Holocaust zu verniedlichen. (Ähnlich wie in dem Film „The Zone of Interest“, den ich für einen desinformierenden Film halte, einen Film, bei dem man merkt, wie ein Regisseur, in seinen eigenen Ideen schwelgt). Allerdings stellt die „Holocaust“-Serie nicht den Anspruch, eine Übersicht über alles Geschehen zu geben, aber die Zuschauer empfinden es so. Jetzt wissen wir, wie es war!
Was es mit Filmen jener Art auf sich hat, kann man erkennen, wenn man sich ihre Wirkung ansieht. So richtig aufgerüttelt haben sie die deutsche Bevölkerung nicht. (Wenn ich dem Film „Holocaust“ auch viele positive Tendenzen zugestehe). Aufgerüttelt hat die deutsche Bevölkerung die Rede von Martin Walser bei der Friedenspreisverleihung 1998. In unzähligen Leserbriefen und Kommentaren konnte man lesen, wie die Saat aufgegangen war, die er mit seiner Rede gesät hat. Da gaben sich viele Leute zu erkennen, und das oft mit heißem Herzen. Das Fazit ihrer Erkenntnisse war: „Ich bin es leid!“ Vielleicht war es so, dass es vom Erschrecken über den Holocaust bis man des Erschreckens leid war, genau 20 Jahre gewährt hat.
anne.c - 2. Mai, 14:46
Vier ehemalige Diplomaten haben in der FAZ einen Artikel unter der Überschrift „Deutschland darf nicht länger schweigen“ veröffentlicht, der zum Inhalt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland viel zu zögerlich mit Israel umgeht, und dass dieses Verhalten so nicht weitergehen kann. Deutschland wäre ein Land das, gerade wegen seiner Geschichte, sowohl dem Staat Israel verpflichtet wäre, aber auch dem Humanismus. Und da Israel nun mal gegen den Humanismus verstoße, müsse man seinem Handeln im Gaza Krieg energisch entgegentreten. Dass nach dem 7. Oktober überall in der Gesellschaft sehr viel Antisemitismus zum Vorschein gekommen ist, wäre der Tatsache geschuldet, dass in der deutschen Politik und in den Medien nur sehr undeutlich Stellung genommen wurde zu den Geschehnissen in Israel (was immer das bedeuten soll).
In der „jüdischen Allgemeine“ schrieb Daniel Neumann eine Replik darauf, in der er auf die Anschuldigungen gegen Israel einging und viele Tatsachen benannte, die – wie es üblich ist -, im FAZ-Artikel verschwiegen wurden, weil sie zugunsten Israels sprechen bzw. den Leser verstehen lassen könnten, warum Israel so und so handelt.
Nicht, dass der Artikel in der FAZ besonders aufregend wäre. So ähnlich schrieb der
Bischof im Gemeindeblatt, ja fast könnte man meinen, die Diplomaten hätten von ihm abgeschrieben: „Die Verhältnismäßigkeit“ zwischen den Toten auf der einen und auf der anderen Seite wird ausgespielt und als Beweis für „völkermörderisches Vorgehen“ Israels herangezogen, wobei sich bezeichnenderweise auf Zahlen bezogen wird, die ihre Quelle in der Hamaszählung haben. Das überzeugt natürlich einen unbedarften Leser. Das Weglassen jeglicher „für“ Israel sprechender Argumente ist Prinzip.
Auch das Argument, Israel dürfe sich nicht so und so verhalten, denn das potenziere den Hass, gehört zu den Routineargumenten. Da schwingt immer mit, wenn Israel sich anders verhielte, dann wäre der Hass nicht da. Es provoziere also den Hass. Dazu kann man nur die Frage stellen: ´Womit haben die Juden in der Nazizeit (und in anderen Zeitaltern) bei den Deutschen den Hass produziert, so dass sie so handeln mussten, wie sie handelten?“
Und dann noch etwas: Wo war uns ist die „bedingungslose Unterstützung“ Deutschlands gegenüber Israel? War „bedingungslose Unterstützung“ das Aussetzen von Waffenlieferungen an Israel? Waren es die Moralpredigten, die Frau Baerbock immer wieder an Israel hielt? Waren es die Resolutionen gegen Israel in der UNO bei jeder Gelegenheit, denen Deutschland zugestimmt hat?
Diplomaten sind gebildete Menschen, die einen weiten politischen Überblick haben. Sie müssen wissen, was sie schreiben und warum sie es schreiben. Was wollten sie mit ihrer einseitig verzerrten Darstellung bezwecken? Wollten sie erreichen, das Deutschland jegliche Beziehungen zu Israel abbricht oder eine Entführung Netanjahus veranlassen oder gar in Israel einmarschieren? Sie müssten wissen, dass dieses alles im Bereich der Utopie liegt. Vielleicht wollten sie den „Kreis des Hasses“ schüren, den Hass also bei Lesern hervorrufen, der angeblich die natürliche Einstellung zu Israel und den Juden sein soll, den diese selbst hervorrufen. So etwas nennt man Antisemitismus. Und der ist bekanntermaßen unabhängig vom Bildungsstand und der politischen Übersicht.
anne.c - 24. Apr, 09:17
Karfreitag – Kreuzigung Jesu. Da fällt mir eine Begebenheit von vor ein paar Jahren ein. Ich nahm an einem Seminar mit der (inzwischen verstorbenen) jüdischen Religionswissenschaftlerin Ruth
Lapide teil. Sie sprach über Frauen in der Bibel. Eine junge Pastorin – gerade mit dem Studium fertig – mischte sich ins Gespräch ein, und sie hatte keine Scheu, zu Frau Lapide zu sagen: „Aber die Juden haben Jesus gekreuzigt“. Ich war konsterniert: so etwas hatte ich auch schon gehört, aber von einer viel älteren Tante, nicht von einem studierten jungen Menschen. Aber Ruth Lapide, eine energische und schlagfertige Frau entgegnete: „Die Römer waren es, die Jesus gekreuzigt hatten, aber Juden wurden 2000 Jahre dafür verfolgt, vertrieben und umgebracht“. Die Pastorin schwieg. Die Antwort war zu überzeugend und war nicht für eine Rechtfertigung geeignet.
anne.c - 19. Apr, 09:21