Volkstrauertag 2017 (Teil 2)

Oder: „Du kuckst immer nur auf so was!“

Letztere Aussage hörte ich, als ich im Sommer in einer schönen kleinen Klosterkirche ein Kriegerdenkmal fotografierte, bei dem die künstlerische Gestaltung und der Inhalt der Botschaft des Denkmals ein irritierendes Zusammenspiel entfalteten (Blog: 25.7.2017). Vielleicht könnte man meinen, dass ich eine Obsession gegenüber Kriegerdenkmälern habe. Die Wirklichkeit ist aber vielmehr, dass diese Obsession allgegenwärtig ist, man solle nur Zeitungsberichte zum Volktrauertag lesen und sich vergegenwärtigen, wie eine Kirche, die eine Radikalpazifistin wie Margot Käßmann ( „Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Beten und Liebe zu begegnen“) zur Kultfigur erhebt, urplötzlich andere Saiten anschlägt, sobald es ans Kriegsgedenken geht. Trotz Bemühungen um ethisch korrekte Wortwahl und Symbolik lugt fast immer ein „Pferdefuß“ heraus. (Blog: 1.10.2017).

So hatte ich bei meiner „Presseschau“, also beim Durchstudieren der Lokalseiten der Lokalpresse für eine Woche, einige Eindrücke:

In der Donnerstagsausgabe wurde berichtet, dass die Kirchengemeinde B. eine neue Pfarrerin hat. Dazu sagte ich: „Dann kann sie ja das angefangene Kriegsgräberprojekt (Blog: 6.7.2015) der im Amt vorangegangenen Pfarrerin vollenden. Dann schlug ich die Montagsausgabe, zeitlich um vier Tage später auf: Eine ganze Seite war dem Volkstrauertag gewidmet, und prompt wurde die Einweihung des im Voraus von mir erwähnten Projekts, das tatsächlich seine Vollendung erreicht hatte, bekannt gegeben.

Die Lokalseite der OZ brachte Berichte über die zentrale Trauerfeier des Landkreises Vorpommern/Rügen zum Volkstrauertag, bei denen die geforderte ethisch korrekte Sprache manchmal etwas ins Wanken geriet, weil zwar viel vom „Mahnen“ die Rede war, das „Ehren“ aber auch nicht unerwähnt bleiben durfte: Ehrung vor dem Mahnmal für die gefallenen deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, dazu Verneigungen und betroffene Gesichter vor einem riesigen Kreuz. Dann ein Trauerzug zu einem so genannten Mahnmal, das dem Andenken Kaiser Wilhelms und seiner Krieger gewidmet ist. Auch die Verfolgten des Naziregimes und die gefallenen russischen Soldaten kamen nicht zu kurz: sie sind ja den anderen Gefallenen gleich zu Tode gekommen. Über die Reihenfolge der Mahnungen und Ehrungen schien es Auseinandersetzungen gegeben zu haben, denn der Bürgermeister hatte schließlich ein Machtwort gesprochen: Die Reihenfolge sei mit keiner Wertung verbunden.

Bei der Einweihung des Mahnmals in der nahe gelegenen Kirchengemeinde B. kamen mehr die Begriffe Mahnen und Erinnern zur Sprache und eine Figur wie Kaiser Wilhelm war hier nicht vorhanden. Auf 221 Tontäfelchen sind auf Eichenstelen die Namen jener Menschen angeführt, die aus dieser Gemeinde im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen.

Das Gräbergesetz sichert den Gräbern der Kriegstoten dauernden, also „ewigen“, Bestand zu. Bei den Nicht-Kriegstoten sieht die Sache anders aus. Wie jeder weiß, geht die Zahl der Verstorbenen, die auf Friedhöfen eine längere Ruhezeit genießen dürfen, rapide zurück. Die Toten werden möglichst pflegeleicht bestattet, oft in anonymen Grabstätten oder zunehmend ihre Asche im Meer versenkt. So entsteht der Eindruck: Was im Krieg geschah, das sei für die Ewigkeit geschehen, besitze also eine Dimension höchster Heiligkeit, während das menschliche Leben jenseits von Krieg möglichst schnell dem Vergessen anheim zu fallen habe.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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