Geschichten aus der DDR
Aufnahme in die Organisation der „Thälmann Pioniere“ (Teil 2)
Nachdem die Singeprobe stattgefunden hatte, wohnten Mutter und Tochter etwas verlegen dem rituellen Treiben auf dem Schulhof bei. Dort spielte sich eine gespenstische Szene ab. In Blöcken zusammengestellt standen da die Klassen umgeben von Fackelträgern. Direkt unter dem Ernst-Thälmann-Relief zitierte eine Lehrerin mit raunender, verstellter Stimme Gedichte. Reden wurden gehalten und ein feierlicher Umtausch der blauen in nun rote Pionierhalstücher wurde vollzogen. Pioniere der höheren Schulklasse banden den „neu Aufgenommenen“ die Tücher um.
Mutter und Tochter fühlten sich etwas unbehaglich, hielten aber tapfer beim Zuschauen durch. Die Mutter überlegte, welche Situation für sie schlimmer wäre: ihr Kind in dieses unwirkliche Treiben verwickelt zu sehen oder als Außenseiter, von den anderen getrennt, abseits zu stehen. Sie hatte sich für Letzteres entschieden.
Im Anschluss an das Aufnahmeritual stürmte ein Teil der Schüler nach Hause, und die Schule füllte sich mit Eltern, die an der jeweiligen Elternversammlung teilnahmen. Einige Schüler blieben noch zu Beginn der Versammlung in der Schule, und so sang das Mädchen im Duett mit einem Mitschüler das Lied: „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat…?“, bevor es dann in die normale Welt entlassen wurde.
Heute, dreißig Jahre später ist sich die Mutter in ihrer damaligen Entscheidung nicht mehr so sicher. Es ist auch eine Art Ideologie, sich Ideologien entgegen stellten zu wollen. Wahrscheinlich wären ihr jetzt die Gefühle ihres Kindes wichtiger gewesen und sie hätte es das Zeremoniell mitmachen lassen. Zu Hause hätten sie ordentlich darüber gelacht: „Mit welch verstellter Stimme die Lehrerin geraunt hat, war das nicht komisch!?“
Haben heutige Veranstaltungen, bei denen auf Bühnen unartikuliertes Geraune vorgetragen wird, zu dem Menschen mit hoch gehaltenen Taschenlampen sich im Takt wiegen, nicht einen ähnlichen Charakter? Man könnte einwenden, es ist kein Zwang hinter den jetzigen Veranstaltungen, aber der Zwang, in einer Masse aufgehen zu wollen, ist dahinter zu spüren.
Dass nur etwas 1 ½ Jahre später das „Thälmann-Denkmal“ während der Schulzeit - weil es terminlich angeblich nicht anders möglich war - und in Anwesenheit eben jener Kinder, die vor ihm die höheren Weihen der „Thälmann Pionieren“ erhalten hatten, in Stücke zertrümmert wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Nachdem die Singeprobe stattgefunden hatte, wohnten Mutter und Tochter etwas verlegen dem rituellen Treiben auf dem Schulhof bei. Dort spielte sich eine gespenstische Szene ab. In Blöcken zusammengestellt standen da die Klassen umgeben von Fackelträgern. Direkt unter dem Ernst-Thälmann-Relief zitierte eine Lehrerin mit raunender, verstellter Stimme Gedichte. Reden wurden gehalten und ein feierlicher Umtausch der blauen in nun rote Pionierhalstücher wurde vollzogen. Pioniere der höheren Schulklasse banden den „neu Aufgenommenen“ die Tücher um.
Mutter und Tochter fühlten sich etwas unbehaglich, hielten aber tapfer beim Zuschauen durch. Die Mutter überlegte, welche Situation für sie schlimmer wäre: ihr Kind in dieses unwirkliche Treiben verwickelt zu sehen oder als Außenseiter, von den anderen getrennt, abseits zu stehen. Sie hatte sich für Letzteres entschieden.
Im Anschluss an das Aufnahmeritual stürmte ein Teil der Schüler nach Hause, und die Schule füllte sich mit Eltern, die an der jeweiligen Elternversammlung teilnahmen. Einige Schüler blieben noch zu Beginn der Versammlung in der Schule, und so sang das Mädchen im Duett mit einem Mitschüler das Lied: „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat…?“, bevor es dann in die normale Welt entlassen wurde.
Heute, dreißig Jahre später ist sich die Mutter in ihrer damaligen Entscheidung nicht mehr so sicher. Es ist auch eine Art Ideologie, sich Ideologien entgegen stellten zu wollen. Wahrscheinlich wären ihr jetzt die Gefühle ihres Kindes wichtiger gewesen und sie hätte es das Zeremoniell mitmachen lassen. Zu Hause hätten sie ordentlich darüber gelacht: „Mit welch verstellter Stimme die Lehrerin geraunt hat, war das nicht komisch!?“
Haben heutige Veranstaltungen, bei denen auf Bühnen unartikuliertes Geraune vorgetragen wird, zu dem Menschen mit hoch gehaltenen Taschenlampen sich im Takt wiegen, nicht einen ähnlichen Charakter? Man könnte einwenden, es ist kein Zwang hinter den jetzigen Veranstaltungen, aber der Zwang, in einer Masse aufgehen zu wollen, ist dahinter zu spüren.
Dass nur etwas 1 ½ Jahre später das „Thälmann-Denkmal“ während der Schulzeit - weil es terminlich angeblich nicht anders möglich war - und in Anwesenheit eben jener Kinder, die vor ihm die höheren Weihen der „Thälmann Pionieren“ erhalten hatten, in Stücke zertrümmert wurde, steht auf einem anderen Blatt.
anne.c - 30. Dez, 09:15