Montag, 18. September 2017

Geschichten aus der DDR

hören sich heutzutage manchmal unglaublich an. Sowohl wenn man sie erzählt, als auch wenn man sie sich anhört, muss man sich dann vergegenwärtigen, dass das „normale Leben“ anders war als heutzutage, und dass man vieles als „normal“ empfand, was heute fast undenkbar oder ungeheuerlich erscheint. Manchmal erzähle ich meiner jüngeren Kollegin, die im Westen aufgewachsen war und kaum Beziehungen zur DDR hatte, dieses oder jenes aus jenen alten Zeiten. Nicht um ihr die DDR nahe zu bringen, sondern weil es sich beim Erzählen so ergibt. Zum Beispiel über den Frauentag 1988, der einen besonderen Stellenwert hatte, weil die DDR-Führung, deren Stern bereits im Sinken begriffen war, damals noch einmal Anlauf nahm, mit der Absicht, das ins Rutschen geratene Gefüge zum letzten Mal stabilisieren zu versuchen. Aus heutiger Sicht ein unmögliches Unterfangen. Doch die Einsicht, dass einmal alles ganz anders sein kann als das, was „schon immer so war“, ist immer schwer vorstellbar. Man gab die Devise aus: Alle Frauen der DDR, die irgendwie politisch erreichbar sind, müssen in organisierten Frauendemonstrationen ihre Verbundenheit mit der DDR bekunden.

In dem Zusammenhang erzählte ich, wie es einer jungen Frau im Bekanntenkreis geschah. Den fokussierten Frauentag wollte sie ausnutzen, um ihre Ausreise aus der DDR in den Westen, wo ihr Mann bereits nach einer Besuchsreise geblieben war, zu erzwingen. Botschaftsbesetzungen und andere spektakuläre Ausreisezwangsmaßnahmen waren damals schon auf der Tagesordnung. Sie entrollte während der „Frauendemo“ ein Plakat, auf dem sie ihre „Ausreise in die BRD“ forderte. Danach war sie erschüttert, dass nicht die Stasi sie festnahm, sondern dass die sie umgebenden Frauen selbst für ihre Verhaftung sorgten.

„Und was geschah mit ihr dann weiter?“, fragte meine Kollegin. „Na ja, sie hatte Pech und musste tatsächlich die ganzen 1 ½ Jahre absitzen und kam genau vor dem Fall der Mauer wieder frei. Der Mann war ihr inzwischen weggelaufen.“

Imme noch spüre ich das Entsetzen meiner Kollegin. Sie hatte sicher aufregendere Geschichten aus der DDR gehört oder gelesen. Doch die Vorstellung dieses konkreten Falls hatte eine unmittelbarere Wirkung. Das hatte ich mit meinem Erzählen gar nicht bezweckt. Für mich war es eine „normale“ Geschichte aus dem „normalen Leben“, wie es einmal gewesen ist.

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