Mittwoch, 30. November 2016

Verschiedene Welten

Im Sommer saß ich mit einer freundlichen, netten Kollegin im Garten zusammen. Über uns ratterte mit ohrenbetäubendem Lärm ein großer Militärhubschrauber, und wir schauten in den Himmel. Da sagte ich: „Ja, wenn sie Wahlkampf macht, landet sie immer bei uns nebenan auf dem Sportplatz“ „Wer?“ „Na, Angela Merkel“. Meine Kollegin - sie ist im Westen aufgewachsen - war außer sich vor Ehrfurcht. „Was, Angela Merkel sitzt in diesem Hubschrauber?! Ich bewundere diese Frau!“ Darauf antwortete ich nicht weiter, es gibt genug angenehme Themen, die uns miteinander verbinden.

Mir fiel ein, wie ich das erste Mal - lange ist es her - eine Neujahrsansprache Angela Merkels gehört hatte. Spontan rief ich aus: „Die spricht ja wie eine Pionierleiterin zu den Kindern am Beginn des Schuljahres!“. Wahrscheinlich muss man mit Propaganda aufgewachsen sein um Propaganda erkennen zu können. Vor einigen Tagen gingen Bilder und Videos von einer CDU-Regionalkonferenz durch die Presse. Ein afghanischer Flüchtlingsjunge dankte Angela Merkel unter Tränen. Er erzählte, dass er vor vielen Jahren, als er noch in einem Flüchtlingslager lebte, ein Bild von Angela Merkel gesehen und von danach keinen anderen Wunsch gehabt habe, als zu ihr, in ihr Land zu kommen, was inzwischen gelungen war. Vor fünf Jahren, also noch vor der Selfiehype, hat der damals schätzungsweise höchstens siebenjährige Junge ( angeblich soll er 9 Jahre gewesen sein, das Verändern von Kinderalter gehört auch zur Propaganda ) anhand eines Fotos von ihr die Eingebung gehabt, dass diese Frau die Rettung für ihn bedeuten würde. Er hatte seinen Vater – selbstverständlich nur den Vater, in dessen Begleitung er nun auch da war, nicht etwa die Mutter -, daraufhin so lange bearbeitet, bis er es geschafft hat, nach Deutschland zu kommen. Wie, das wurde nicht erwähnt, ob Schleuser bezahlt wurden oder etwa Pässe vernichtet. Das Propagandavideo dazu, auf einem Spielplatz in der Herbstsonne gedreht, war eindeutig in Vorbereitung auf diese Huldigung hergestellt, also inszeniert worden.

Das Parteivolk jubelte. Angela Merkel kanzelte gleichzeitig noch einen anderen Parteigenossen ab, der vorher eine kritische Ansage gemacht hatte und machte ihm klar, dass nicht nur er unter die Bezeichnung Volk fiele, sondern dass alle (also sie selbst) das Volk wären. Führer, die Kinder liebkosen, das ist doch ein uraltes Propagandamittel. Sah man nicht sowohl Hitler als auch Stalin öffentlich Kinder liebkosen? Ulbricht und Honecker im Kreis von jungen Pionieren, das waren die Bilder mit denen ich aufgewachsen bin, übrigens ebenso wie Angela Merkel. Und das dazu frenetisch klatschende Parteivolk sowieso.

Mit der Zeit bin ich nicht mehr so erbittert darüber, dass nach dem Krieg Ost- und Südosteuropa dank der deutschen Invasion unter kommunistische Knute geraten sind. Und vom Westen behandelt wurden, als wären sie zurückgebliebene Hinterwäldler. Der technologische Vorsprung wird ausgeglichen, der Mangel an Reichtum muss nicht immer schlecht sein, aber dass diese Länder leidend erfahren mussten, was Ideologie ist, das kann ein großer Vorteil für sie sein - ich denke, in einem ehemaligen Ostblockland kann man über eine solche Propaganda nur lachen.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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